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Die Klimaprioritaeten

Titel: Die Klimaprioritaeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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im Bürgerschaftswahlkampf Anfang 2008 und macht das Unternehmen dafür verantwortlich, dass der Meeresspiegel steigt und die Hafenstadt immer häufiger unter Wasser steht. Kohlekraftwerke seien für sie Energiepolitik von gestern. Dabei soll |26| das Kraftwerk mit von Umweltschützern sonst gepriesener Kraft-Wärme-Kopplung arbeiten und 35 000 Haushalten auch eine warme Heizung garantieren.
    Die Anti-Kohle-Bewegung formt mittlerweile auch Koalitionen normalerweise unverdächtiger Schicksalsgenossen. Geschieht dies gar im nordrhein-westfälischen Kohlerevier, wo früher jede Zechenschließung einen Trauergottesdienst nach sich zog, gibt das zu denken. In Krefeld wollen CDU, SPD und Grüne gemeinsam den Neubau eines
800-Megawatt-Kraftwerks
vereiteln.
    Die Gegner haben natürlich einen triftigen Grund. Ein Drittel der dreckigsten Kohlekraftwerke in der Europäischen Union stehen in Deutschland, zehn von 30, hat die
Umweltorganisation
WWF in einer Studie nachgewiesen. Neue Kraftwerke sollen aus der Sicht der Energieversorger jedoch Deutschlands Klimabilanz verbessern.
    In den Vorstandsetagen von Vattenfall und RWE ist man deshalb verwundert und ratlos über die gesunkene Akzeptanz der Kohle in Deutschland, vor allem, wenn die neuen Anlagen im Vergleich zu den alten nachweislich Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen. Beispiel Berlin. Dort will Vattenfall ein modernes Steinkohlewerk bauen, um das einzige
Braunkohlekraftwerk
der Stadt zu ersetzen. Das industriemuseumsreife Kraftwerk wurde 1926 gebaut und wartet auf die Abrissbirne. Doch eine Bürgerinitiative »Nein zum Kohlekraftwerk« will lieber, dass der Oldtimer weiter ächzt. Ein viel sauberes Kraftwerk, dass die Emissionen Berlins deutlich senken würde, sei »eine Kampfansage gegen den Klimaschutz«, schimpfen die Umweltschützer. Das ist ungefähr so, als ob ein neues Auto mit besseren Airbags und Bremsen eine Gefahr für die Sicherheit der Insassen darstellt. Solchen Argumenten gegenüber scheint die neue Anti-Kohle-Bewegung nicht besonders aufgeschlossen |27| . Modernisierung ist für sie gleichbedeutend mit Klimakollaps.
    Diese Fundamentalopposition gegen die Kohle geht damit einher, dass alternative, erneuerbare Energien, aber auch der Rohstoff Erdgas atemberaubend überschätzt werden. Erklären lässt sich dies vielleicht am ehesten mit Profilierungsneurosen einer grünen Oppositionspartei, die gegen den Dauerwahlkampf innerhalb der Berliner Großen Koalition und deren mediale Bühne anbrüllen muss, und der vorschnellen Antwort der Regenbogenkrieger auf immer komplexer werdende Zeiten, in denen sie mehr punkten mit lauthals geradliniger Ablehnung als mit nuancierten Argumenten.
    Es scheint manchmal, als wollten Umweltschützer und Grüne das Ende des Kohlezeitalters herbeibeten. Den Sieg über die Atommeiler hat man davongetragen. Nun soll Vattenfall und RWE noch verboten werden, Kohle zu verstromen. Stattdessen dürfen sie nur noch Erdgas verbrennen und Windturbinen auf ihren Werksgeländen aufstellen. Dann kann die wunderbare saubere Energiezukunft beginnen.
    Die Realität stört da nur. Auch in Hamburg, während der Bürgerschaftswahl 2008, hatte SPD-Frontmann Michael Naumann vorgeschlagen, statt des von Vattenfall geplanten
Steinkohlekraftwerks eine Erdgasanlage zu errichten. Sicher, Erdgas ist klimafreundlicher. Wird Erdgas verbrannt, werden rund 365 Gramm Kohlendioxid pro Kilowattstunde Strom in die Luft geblasen. Bei Kohle sind es etwas mehr als doppelt so viel: 750 Gramm Kohlendioxid. Aus reiner
Klimaschutzperspektive
wäre der Einsatz von Erdgas wünschenswerter. Was die Kritiker jedoch nicht sagen: Gas ist teurer und hätte höhere Strompreise zur Folge. Schuld wären natürlich die Energiekonzerne. Was sie auch nicht sagen: Erdgas muss importiert werden. Ein Drittel stammt aus Russland, |28| dass seine Energierohstoffe gern als politisches Druckmittel einsetzt. Noch mehr abhängig zu sein vom Wohlwollen des Kreml kann man dem Verbraucher so lange verkaufen, wie der Gashahn offenbleibt; wird er aber zugedreht, beginnt das große Jammern. In Zeiten, da das Wort Energiesicherheit großgeschrieben wird, entdecken Stromversorger wieder den Wert der guten alten Kohle, die in Deutschland noch üppig unter der Erde liegt.
    Und was die Klimabewegten auch gern übersehen: Deutschland ist eine Industrienation mit hohem Strombedarf und einer hohen Grundlast. Dennoch hat sich das Land entschieden, seine Atommeiler in den kommenden Jahren abzuschalten.

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