Die Klimaprioritaeten
Wasserdampf aus – sehr sichtbar, aber sehr ungefährlich – und Kohlendioxid. Dieses tückische Gas. Man sieht es nicht, riecht es nicht, und doch heizt es die Erde auf.
Kohle ist der wichtigste Einzelfaktor für die Erderwärmung. Kohle allein ist verantwortlich für rund 30 Prozent der weltweiten Treibhausgase. Gelingt es zu verhindern, dass Kohlendioxid bei der Kohleverbrennung in die Atmosphäre entweicht, könnte Klimaschutz erfolgreich sein. Doch wie? Kohlendioxid in die Ozeane pumpen, damit das Plankton gedüngt wird, in Gewächshäuser leiten, damit die Tomaten besser wachsen oder ins Weltall schießen? Ein globaler technologischer Wettlauf hat begonnen, dieses Problem zu lösen. Vattenfall will mit Spremberg vorne mithalten.
Führende Ingenieure und Wissenschaftler aus aller Welt haben im Februar 2008 auf einer Konferenz in Boston eine Liste mit den »wichtigsten technischen Herausforderungen« unserer Zeit erstellt, »die helfen sollen, das Leben auf der Erde zu schützen«. Kohlendioxid aufzufangen und sicher zu lagern, Carbon Capture and Storage (CCS), wie der englische Fachbegriff lautet, rangiert dabei an vorderster Stelle.
|24| Wie das so ist mit neuen Technologien, es gibt tausend ungeklärte Fragen. Wie zuverlässig ist die Technik, wie sicher, rechnet sie sich, wo kann sie einsetzt werden? Praktische, technische, betriebswirtschaftliche, ökologische Fragen. Oder geht es bei dem Projekt nur darum, das Leben einer Energiewirtschaft zu verlängern, die mit Klimaschutz am Ende doch nicht zu vereinbaren ist, ein kurzfristiger Notbehelf für ein
leckgeschlagenes
Schiff, während man eigentlich Rettungsboote bräuchte? Politische, ideologische Fragen.
Also wird fleißig geforscht, getestet und gefördert von der Europäischen Union und der Bundesregierung. In den
brandenburgischen
Sand werden Probelöcher gebohrt, in geologischen Tiefen nach leckdichtem Gestein gesucht. Und auf dem Gelände in Spremberg sind 3 000 Messstationen errichtet, die auch das kleinste Ventil überwachen.
»Wir untersuchen hier zunächst, ob das Verfahren technisch machbar ist, nicht ob es wirtschaftlich ist«, erklärt Denis Kettlitz, zuständig für Vattenfalls Kommunikation. Streng in schwarz gekleidet, sieht er aus wie ein evangelischer Pfarrer. Aber er predigt nicht, sondern erläutert, hört ruhig zu, wenn es um die Knackpunkte der noch unerprobten Technik geht, die Wirkungsgradverluste, den höheren Energieverbrauch, die Probleme mit den Lagerstätten, die enormen Kosten für die neue Infrastruktur und die Sorgen, dass dadurch der Strompreis explodiert. Diese Kritik kann er verstehen, entkräften oder auch nicht, aber er kann damit umgehen. Etwas ungehalten wird er erst, wenn es um die in seinen Augen naive Kohledebatte in Deutschland geht, den schrillen Tonfall, die Feindseligkeit von Greenpeace & Co. gegenüber dem Unternehmen, das international einen respektableren Ruf genießt als hierzulande, wenn es um Umweltschutz geht. Aber in Deutschland ist Vattenfall offenbar zusammen mit RWE allein verantwortlich für die drohende |25| Klimakatastrophe. »Ich kann diese Hysterie nicht verstehen«, meint Kettlitz.
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Die Kohlegegner machen mobil in Deutschland. Mit einer Vehemenz, als ob es darum ginge, idyllische Gemeinden vor monströsen Atomreaktoren russischer Bauart anno 1960 zu bewahren. Bürgerinitiativen, fleißig unterstützt von den Grünen, formieren sich an vielen Kraftwerksstandorten. Ensdorf, ein kleiner Ort im Saarland mit 6 700 Einwohnern, wurde bereits zum Synonym der neuen Anti-Kohlebewegung. Dort stimmten 70 Prozent der Bewohner in einem Bürgerentscheid gegen ein neues 1 600-Megawatt-Kraftwerk des Energiekonzerns RWE. Für manche ein Fanal des neuen Widerstands. Erinnerungen werden wach an die siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts, die Zeit der Anti-Atomkraft-Bewegung. Und an Nahrung für den Protest mangelt es nicht.
In Deutschland sind bis 2012 neun neue Kohlekraftwerke geplant. Bis 2020 sollen es insgesamt 25 sein. Auch in Hamburg brodelt es. Dort will Vattenfall in Moorburg ein
Steinkohlekraftwerk
errichten. Vattenfall sagt: Das neue werde 2,3 Millionen Tonnen weniger Kohlendioxid ausstoßen, da alte Meiler stillgelegt würden. Die Grünen sagen: Das neue emittiert aber immer noch zu viel CO2.
»Statt die Energiewende voranzutreiben, jagt der Bürgermeister gemeinsam mit Vattenfall die CO2-Emissionen in die Höhe«, wetterte die Grünen-Spitzenkandidatin Christa Goetsch
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