Die Klinge
die Augen und sah erst Paula und dann Tweed an.
»Ich habe es Ihnen ja schon oft gesagt, Tweed, dass Ihre Paula ein verdammt gescheites Mädchen ist. Sollte sie es jemals über haben, für Sie alten Sklaventreiber zu arbeiten, würde ich sie liebend gern bei mir anstellen. In der Wunde ist tatsächlich die Spur einer Scharte zu sehen...«
Als Nächster blickte Newman durch den Apparat, dann Tweed und schließlich Buchanan, der wegen seiner außerordentlichen Körpergröße den Drehstuhl ein Stück nach unten fahren musste. Buchanan studierte das vergrößerte Foto eine volle Minute, bevor er aufstand und mit dem Finger über seinen exakt gestutzten Schnurrbart strich. Diese
Geste hatte Paula schon öfter an ihm bemerkt, immer dann, wenn ein Fall eine unerwartete Wendung nahm.
»Das ist eine äußerst wichtige Entdeckung, Paula«, sagte er. »Sollten wir jemals die Mordwaffe finden, können wir sie anhand dieser Scharte zweifelsfrei identifizieren. Eigentlich erstaunlich, dass der Mörder sie nicht bemerkt hat.«
»Wahrscheinlich hat er das sogar«, erwiderte Paula, »aber es war ihm egal.«
»Tut mir Leid, aber wir müssen langsam aufbrechen«, sagte Buchanan mit einem mahnenden Blick auf die Uhr.
Saafeld streifte Latexhandschuhe über, öffnete abermals die Schublade und entnahm ihr zwei weitere mit Karton verstärkte Umschläge. In einen davon steckte er die Fotografie, die sie soeben unter dem Vergrößerungsapparat betrachtet hatten, in den anderen ein Duplikat davon. Dann gab er den einen Umschlag Tweed, den anderen Buchanan.
»Hoffentlich hilft Ihnen das bei Ihren Nachforschungen«, sagte er düster.
»Da bin ich mir ganz sicher«, erwiderte Tweed. »Die Fotos werden uns bestimmt unschätzbare Dienste erweisen.«
»Ich möchte, dass Sie mich begleiten«, sagte Buchanan, als sie in seinem Wagen von Holland Park abfuhren. »Es dauert aber ein paar Stunden.«
»Wo wollen Sie denn hin?«, fragte Tweed.
»Nach Bray, wo man die Leiche gefunden hat. Vielleicht ist heute Abend unsere letzte Chance, den Tatort zu untersuchen, jetzt, wo der Chief Constable den Fall an sich gerissen hat.«
»Dann sollten wir das sofort tun«, erwiderte Tweed.
Niemand sagte etwas, bis sie die Vorstädte hinter sich gelassen hatten und durch Windsor fuhren. Der Regen
hatte aufgehört, und vor dem klaren, aber dunklen Himmel konnte Paula die massige Silhouette von Windsor Castle erkennen. Bald darauf erreichten sie das flache Land, wo neben der Straße nichts als weite Felder und schwarze, kahle Bäume waren.
»Werden wir in der Dunkelheit überhaupt etwas erkennen können?«, fragte Paula.
»Ich habe vier starke Taschenlampen dabei«, sagte Buchanan. »Die dürften reichen. Sie sind im Handschuhfach, Tweed.«
Tweed verteilte die Taschenlampen, und Paula richtete den Strahl prüfend auf den Wagenboden. Dann schaute sie wieder aus dem Fenster, wo immer noch leere Felder und kahle Bäume vorüberzogen.
»Ein Sache verstehe ich nicht«, sagte sie. »Saafelds Hypothese nach soll der Mörder sein Opfer zuerst mit dem Stiel der Axt bewusstlos geschlagen haben. So weit kann ich ihm noch folgen. Aber dass er den Kopf mit einem einzigen Hieb so sauber vom Rumpf getrennt haben soll? Dazu müsste das Opfer doch auf dem Rücken liegen, mit dem Hals auf einer Art Richtblock.«
»Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, sagte Tweed. »Aber ich bin noch zu keiner befriedigenden Lösung gekommen.«
»Jetzt sind wir gleich in Bray«, verkündete Buchanan, der von der Hauptstraße abgebogen war.
»Wie weit ist es dann noch bis zur Themse?«, fragte Tweed.
»Etwa eineinhalb Kilometer. Bray ist übrigens das letzte noch intakte Dorf vor London, alle anderen Ortschaften flussaufwärts wurden von unseren so genannten Stadtplanern kaputt saniert. Aber da wären wir schon.«
Im Licht der Autoscheinwerfer sah Paula schöne, große Häuser, wobei einige bestimmt über hundert Jahre alt waren. Sie standen nahe an der Straße, die sich kurvig
durch das Dorf wand. In einigen Fenstern brannte Licht, aber auf der Straße war keine Menschenseele zu sehen.
»Kurz vor dem Ortsende von Bray biegen wir zum Fluss ab«, sagte Buchanan.
»Komisch, hier scheint es gar keine Geschäfte zu geben«, bemerkte Paula.
»Stimmt. Das letzte hat schon vor ein paar Jahren dichtgemacht. Die Leute aus Bray kaufen jetzt alle in den Supermärkten in Maidenhead ein. Heutzutage ist das leider so.«
Als das Dorf hinter ihnen lag, bog Buchanan nach rechts auf einen
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