Die Klinge
zugemauert hatte. Was ist nur aus diesem Land geworden?, fragte er sich, während Scheinwerfer aufflammten und die Haustür sich langsam öffnete. Das Licht war so grell, dass Paula sich die Hand schützend vor die Augen halten musste.
»Na los, kommen Sie rein«, brummte Saafeld. »Sie sind doch nicht hier, um sich da draußen die Beine zu vertreten.«
Der ist aber schlecht gelaunt, dachte Paula, so habe ich ihn ja noch nie erlebt. Saafeld war ein kleiner, kräftig gebauter Mann Ende fünfzig. Seine fast vollständig ergrauten Haare standen in merkwürdigem Kontrast zu seiner
jugendlich gesunden Gesichtsfarbe und seinen sicheren, flinken Bewegungen. Er begleitete seine Besucher in eine Eingangshalle mit dunklem Holzboden, von der aus mehrere Türen in die anderen Teile des Hauses führten.
Saafelds Miene hellte sich erst auf, als er Paula zur Begrüßung umarmte, um dann einen Schritt zurückzutreten und sie bewundernd anzusehen. Paula war einen Meter siebzig groß, hatte schulterlanges, schwarzes Haar, ein gut geschnittenes Gesicht und ein ausgeprägtes Kinn, das auf große Beharrlichkeit schließen ließ. Ihren wachen blauen Augen entging nichts, und für ein Lächeln von ihr hätte so mancher Mann so manches getan. Paula trug ein dunkles Kostüm, das ihre wohl proportionierte Figur hervorragend zur Geltung brachte, und dazu einen bunten Seidenschal, der für den nötigen Farbtupfer sorgte. Nachdem Saafeld sie ausgiebig bewundert hatte, wandte er sich den beiden Männern zu, die er aus seinen lebhaften Augen entrüstet anfunkelte.
»Sie werden es kaum glauben, aber man hat mich beraubt. Kommen Sie mit hinunter in die Leichenhalle...«
Er ging voran und stieg eine steinerne Treppe hinunter. Unten zog er eine Magnetkarte aus der Tasche und öffnete damit eine schwere Eisentür, durch die sie in einen kleinen Raum gelangten, an dessen Ende sich eine vom Boden bis zur Decke reichende Scheibe aus Panzerglas befand. Nachdem Saafeld seine Karte in ein Lesegerät an der Wand gesteckt hatte, glitt die Scheibe geräuschlos nach oben und gab den Weg in die große unterirdische Leichenhalle frei.
Paula stach sofort der Formalingeruch in die Nase. Mit dieser Chemikalie konservierte Saafeld die Gewebeproben der Leichen, die in mehreren tiefen Schubfächern aus Edelstahl in einer Wand des Raumes lagerten. Jetzt führte er sie zu einem Stahltisch, über dem verschiedene, an Teleskoparmen befestigte Kameras hingen.
»Da lag die Leiche, die sie mir geklaut haben«, sagte er gereizt und deutete auf den leeren Tisch. »Es war der Tote aus Bray.«
»Wer war dafür verantwortlich?«, fragte Tweed ruhig.
»Ein Überfallkommando von der Special Branch, unter dem Kommando Ihres speziellen Freundes, Mr. Nathan Morgan.«
»Und in welcher Befugnis hat Morgan das getan?« »Er hatte eine schriftliche Anweisung vom Chief Constable in Maidenhead, in der stand, die Leiche sei sofort dorthin zu bringen«, ereiferte sich Saafeld. »Außerdem hatte er ein Schreiben des Innenministers, in dem diese Anweisung bestätigt wurde. Ich konnte nichts dagegen machen, ich musste ihnen die Leiche überlassen. Morgan hatte einen Krankenwagen mit Sanitätern dabei, außerdem zwei von seinen Special-Branch-Gorillas. Wie gesagt, ein richtiges Überfallkommando. Einfach unglaublich.«
»Und ziemlich dubios, würde ich sagen. Wieso mischt sich die Regierung in einen Mordfall ein? Das riecht doch geradezu nach einer Vertuschungsaktion. Hatten Sie denn wenigstens schon mit der Autopsie angefangen?«
»Nein, weil ich die Leiche nämlich erst einmal nach Fasern und anderen Spuren abgesucht habe. Das habe ich Morgan aber nicht auf die Nase gebunden. Der Kerl war mir deutlich zu aggressiv. Er wollte auch unbedingt wissen, ob ich schon Fotos gemacht habe.« Saafeld lächelte grimmig. »Ich habe das verneint, obwohl das nicht stimmte. Dann habe ich ihn angebrüllt und ihm mit einer Beschwerde gedroht und anschließend rausgeschmissen. Das hat ihm gar nicht gefallen. Er wollte seine schriftlichen Anweisungen wieder mitnehmen, aber ich habe sie nicht mehr herausgerückt.«
»Haben Sie die Leiche komplett fotografieren können?«
»Ja. Zum Glück habe ich die Bilder selbst gemacht, weil meine Assistenten schon gegangen waren. Es gibt also
keine Zeugen. Ich habe den Film sofort entwickelt und zwei Sätze von Abzügen gemacht. Einen davon kann ich Ihnen mitgeben, aber zeigen Sie die Aufnahmen niemandem.«
Tweed lief nervös in dem großen Raum auf und ab. Er
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