Die Klingen der Rose: Ein unwiderstehlicher Schurke (German Edition)
Wann er denn endlich zu heiraten gedenke! Müttern war irgendetwas eigen, das in jedermann das trotzige Kind wachrief, ganz egal, wie alt man war und in welcher Lebenssituation man sich befand. Eine deprimierende Tatsache.
»So willkommen mir Ihr göttlicher Anblick auch ist, Athene«, wandte er sich an die ältere der beiden Frauen, »möchte ich Sie doch fragen, ob Sie ein bestimmter Grund zu uns geführt hat?«
Mutter und Tochter lösten ihre Blicke voneinander, die in wütendes gegenseitiges Anstarren umzuschlagen drohten. »Oh ja, in der Tat. Einer der Gewährsleute ist hier.« Die Mutter wandte sich zur Tür um und bedeutete jemandem, hereinzukommen. Ein ungefähr zehnjähriger Junge trat ein. Er war barfuß und trug saubere, aber abgewetzte Kleidung. Die Anwesenheit von gleich zwei Frauen aus der Familie Galanos schien den Jungen etwas einzuschüchtern. Er wirkte hin- und hergerissen zwischen Erschrecken und Bewunderung. Das konnte ihm Bennett sehr gut nachfühlen.
»Was gibt es, Yannis?«, fragte Athene die Jüngere.
Es dauerte einen Augenblick, bis der Knabe seine Stimme wiederfand. »Das Hotel Andromeda «, stieß er hervor. »Dort wohnen die Engländer. Sie wollen Athen morgen verlassen.«
Die Hexen nickten zufrieden, und Bennett teilte dieses Gefühl. »Sehr gut, Yannis«, lobte Athene die Ältere. Sie holte eine Zwei-Drachmen-Münze aus einer kleinen perlenbestickten Tasche an ihrer Hüfte und drückte sie dem Jungen in die Hand. Bei dem Anblick weiteten sich seine Augen, doch er fasste sich schnell und steckte die Münze rasch ein. Als Athene die Ältere ihm zunickte, sauste der Junge aus dem Zimmer. Seine nackten Sohlen patschten über die Fliesen.
Bennett machte Anstalten, ihm zu folgen, doch Athene die Jüngere hielt ihn zurück: »Gehst du zum Hotel?«
Er sah sie an. »Ich werde weitere Informationen besorgen. Wie du es vorgeschlagen hast.«
»Und dann?«
»Dann wissen wir, womit wir es zu tun haben.« Er zwinkerte Tochter und Mutter zu. »Ihr braucht nicht wach zu bleiben und auf mich zu warten.«
* * *
»Ich gehe vor dem Abendessen noch ein bisschen in den Garten«, sagte London zu ihrem Vater, mit dem sie im Gesellschaftsraum des Hotels saß. Hier traf man sich in Abendkleidung, um einen Aperitif zu trinken und sich leise auf Englisch zu unterhalten. Auch London hatte sich für das Abendessen umgezogen. Sie trug ein Kleid aus dem Modehaus Worth . Es war aus cremefarbenem Atlas und veilchenblauem Flor gefertigt und ließ die Schultern ein Stück weit frei. Die Haare hatte sie hochgesteckt und mit Seidenblumen geschmückt. Genauso war sie zu einem Abendessen im Haus ihrer Eltern eine Woche vor ihrer Abreise nach Griechenland erschienen. Sie hatte jeden am Tisch gekannt. In diesem Kleid und dem Hotel, das einen so sauberen und normalen Eindruck machte, meinte London fast, wieder in England zu sein und nicht Tausende von Meilen weit weg von zu Hause. »Die Nacht ist so schön und warm. Es wäre eine Schande, den letzten Abend in Athen nicht draußen zu verbringen.«
Ihr Vater blickte von ein paar Briefen auf. Seine dunklen Haare und sein Schnurrbart hatten sich im Laufe der Zeit silbern gefärbt. Der Blick indes, mit dem er zu ihr aufsah, war noch genauso scharf und klar wie eh und je. Sie dachte oft, dass Joseph Edgeworth mit Schriftrollen in den Händen auf die Welt gekommen sein musste, denn sie sah ihn so gut wie nie ohne irgendwelche Papiere. Als sie klein war, hatte sie ihren Vater gefragt, was all die Briefe bedeuteten, warum ihm die Menschen unablässig schrieben und schriftliche Gesuche einreichten und zu jeder Tages- und Nachtzeit mit noch mehr Schriftrollen in sein Arbeitszimmer kamen. Er hatte geantwortet, dass er ein sehr wichtiger Mann sowohl in der Regierung als auch in der Gesellschaft sei und man ihn deshalb häufig um Rat frage. Als sie wissen wollte, welchen Posten er in der Regierung bekleide, hatte er ihr den Kopf getätschelt und gesagt, sie solle im Kinderzimmer mit ihren Puppen spielen. Diese Dinge seien nichts für junge Damen.
Jahrelang war das alles gewesen, was sie über die Arbeit ihres Vaters und ihres Bruders gewusst hatte – dass sie und die Männer in ihrem Umfeld wertvolle Arbeit für die Regierung ihres Landes leisteten. Vater weigerte sich, ihr mehr zu erklären. Und Jonas war ein folgsamer Sohn, der zumindest in diesem Punkt schwieg. Mutter war auch keine Hilfe, denn sie behauptete, in dieser Angelegenheit ebenso wenig zu wissen wie London. Aber das
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