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Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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der Charles Street ein und parkte so, daß der Wagen fast den Verkehr in der engen Gasse blockierte. Seine Armbanduhr zeigte sieben Uhr zweiundvierzig, als er die Treppe hochstieg. Zeit genug, dachte er, um schnell ein belegtes Brot zu essen, den Jungen zu küssen, seine Frau zweimal an sich zu drücken und zum Krankenhaus zurückzufahren, ohne dort auch nur vermißt worden zu sein.
    »Liz?« rief er, als er mit einem Schlüssel aufsperrte.
    »Sie ist nicht zu Hause.« Es war das Babysittermädchen, an deren Namen er sich nie erinnern konnte, und ein Junge, der neben ihr auf der Couch saß. Beide waren leicht zerzaust und offenkundig beim Schmusen unterbrochen worden.
    »Wo ist sie?«
    »Sie sagte, falls Sie anriefen, solle ich Ihnen sagen, daß sie sich mit ihrem Onkel zum Abendessen trifft.«
    »Dr. Longwood?«
    »Ja.«
    »Wann?«
    »Das sagte sie nicht.« Das Mädchen stand auf. »Ah, Herr Doktor, darf ich Ihnen meinen Freund Paul vorstellen.«
    Rafe nickte und fragte sich, ob es wohl im Interesse seines Sohnes lag, daß sie beim Kinderhüten Gesellschaft hatte. Vielleicht gedachte der Junge wegzugehen, bevor Liz und ihr Onkel heimkamen. »Wo ist Miguel?«
    »Im Bett. Er ist gerade eingeschlafen.«
    Rafe ging in die Küche, zog sein Jackett aus, hängte es über den Stuhl und fühlte sich in seiner eigenen Wohnung wie ein Eindringling, als das Gespräch im Wohnzimmer zu einer Reihe kurzer geflüsterter Sätze und einem gelegentlichen unterdrückten Kichern wurde.
    Brot war da, etwas altbacken, und Reste von Schinken und Käse. Und eine Beefeater-Flasche, halbvoll, mit Martini, die sie, sicher vor seiner programmgemäßen Rückkehr aus dem Krankenhaus am nächsten Morgen aus dem Eisschrank genommen hätte.
    Er machte sich das Sandwich, öffnete eine kleine Flasche Ingwerbier, trug alles durch das Wohnzimmer in das Schlafzimmer seines Sohns und schloß die Tür vor den neugierigen Augen der beiden jungen Leute auf der Couch.
    Miguel schlief mit einer ausgestopften orangefarbenen Schlange namens Irving quer über dem Gesicht, das Kissen lag auf dem Fußboden. Rafe stellte Sandwich und Getränk auf dem Schreibtisch ab, hob das Kissen auf und starrte seinen Sohn im Schein des trüben Nachtlichts an. Sollte er das ausgestopfte Tier wegnehmen? Er wußte sehr gut, daß keine Erstickungsgefahr bestand, rückte es aber doch weg, es gab ihm die Möglichkeit, das kleine Gesicht zu betrachten. Miguel bewegte sich, wurde jedoch nicht wach. Der Junge hatte dunkles, strähniges Haar, schon im Alter von zweieinhalb Jahren im Beatlestil geschnitten, hinten lang, über der Stirn in Fransen; Liz mochte es so, Rafe gefiel es überhaupt nicht. Liz’ Onkel haßte den Haarschnitt sogar noch mehr, als er den »ausländisch« klingenden Namen des Jungen ablehnte, den er durch das annehmbarere »Mike« ersetzte. Miguel hatte männliche, sogar häßliche abstehende Ohren, die seine Mutter unglücklich machten. Sonst war er schön, zäh und drahtig, mit der hellen Haut seiner Mutter und den warmblütigen zarten Zügen seiner Großmutter väterlicherseits. Der Señora Mamacita.
    Das Telephon klingelte.
    Er erreichte es vor dem Mädchen und erkannte Longwoods kultivierte Aussprache, die eine Nennung des Namens überflüssig machte.
    »Ich dachte, Sie haben heute abend Dienst in der Abteilung.«
    »Ich bin zum Essen heimgefahren.«
    Longwood erkundigte sich nach mehreren Fällen, und Rafe berichtete, während beide wußten, daß der Chefchirurg keine Möglichkeit mehr hatte, das Wohlergehen der betreffenden Patienten aktiv zu beeinflussen. An Rafes Ohr drangen Restaurantgeräusche aus dem Hintergrund, leises Murmeln von Stimmen, das Klirren von Metall gegen Glas.
    »Kann ich Elizabeth guten Abend sagen?« fragte Longwood, als Rafe mit seinem Bericht fertig war.
    »Ist sie nicht mit Ihnen zusammen?«
    »Heiliger Himmel, sollte ich sie treffen?«
    »Zum Abendessen.«
    Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann bemühte sich der alte Knabe angestrengt um eine Ausrede. »Diese verdammte Sekretärin! Das Mädchen hat meinen Terminkalender völlig durcheinandergebracht. Ich weiß nicht, wie ich das Elizabeth je erklären soll. Wollen Sie ihr meine aufrichtigste Entschuldigung übermitteln?« Die Verlegenheit in seiner Stimme war echt, aber es war noch mehr, und Rafe erkannte mit plötzlichem Widerwillen, daß es Mitgefühl war.
    »Ja«, sagte Rafe.
    Er hängte ein, holte das Sandwich und das Ingwerbier, setzte sich an das Fußende des Bettes seines

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