Die Klinik
V E RS T O NE
Adam schrieb es seiner Wut auf Meomartino zu, ihn aus dem Bett getrieben zu haben, aber er kehrte aus dem Gleichgewicht gebracht und brütend in den Dienst zurück, dachte in den unwahrscheinlichsten Momenten an Gaby Pender, wie sie rein und unbefleckt, mit geschlossenen Augen, in der Sonne geruht hatte, an ihre vollkommene, eindringliche kleine Gestalt, an ihr scheues, gebrochenes Lachen, als sei sie nicht sicher, ob sie ein Recht darauf habe.
Er versuchte sie aus seinen Gedanken zu verdrängen, indem er an alles mögliche dachte.
Dr. Longwood unterrichtete ihn von der bevorstehenden Postenbesetzung an der Chirurgischen Fakultät, und er verstand plötzlich, was in Meomartino vorgegangen war. Er erzählte Spurgeon davon, als sie in seinem Zimmer saßen und Bier tranken, das sie im Schnee auf dem Fensterbrett kühlten.
»Ich werde diesen Job festnageln«, sagte Adam. »Meomartino wird ihn nicht bekommen.« Seine Finger umklammerten eine leere Bierdose so fest, daß er sie zusammendrückte.
»Nicht nur, weil du ihn nicht magst«, sagte Spurgeon.
»So unsympathisch kann dir niemand sein.«
»Stimmt zum Teil. Ich will den Posten wirklich haben.«
»Weil er in das Plansoll Silverstones paßt?« Adam lächelte und nickte.
»Die Prestigestellung, die geradewegs zu einer anderen führt, die dicke Gelder einbringt?«
»Jetzt hast du’s erraten.«
»Du betrügst doch nur dich selbst, Freundchen. Weißt du, was das Plansoll Silverstones in Wirklichkeit ist?«
»Was denn?« fragte Adam.
»Scheißdreck und Kuhmist.« Adam lächelte nur.
Spurgeon schüttelte den Kopf. »Mensch, du glaubst, du hättest dir alles fein ausgerechnet, nicht?«
»Alles, woran ich nur denken kann«, sagte Adam.
Unter anderem hatte er sich ausgerechnet, daß Spurgeons Episode mit dem Zahnfortsatz ein Zeichen dafür war, daß der Spitalsarzt mehr über Anatomie wissen mußte. Als er ihm das Angebot machte, mit ihm zu arbeiten, nahm es Spurgeon voll Eifer an, und Dr. Sack erlaubte ihnen, im Pathologielabor der Medizinischen Schule zu sezieren. Sie arbeiteten dort mehrmals in der Woche, Spurgeon lernte schnell, und Adam machte die Lehrtätigkeit Spaß.
Eines Abends kam Sack herein und nickte ihnen zur Begrüßung zu. Er sagte wenig, aber statt wieder zu gehen, zog er einen Stuhl herbei und sah ihnen zu. Zwei Abende später kam er wieder, und diesmal bat er Adam, als sie fertig waren, in sein Büro zu kommen.
»Wir könnten eine stundenweise Hilfe in der Pathologischen Abteilung des Krankenhauses brauchen«, sagte er.
»Wollen Sie uns helfen?«
Die Arbeit würde bei weitem nicht so viel einbringen wie die Nachtarbeit in der Unfallstation in Woodborough, aber sie würde auch nicht so an seinen Kräften zehren oder seinen wertvollen Schlaf so stark beschneiden. »Ja«, sagte er ohne Zögern.
»Jerry Lobsenz hat gute Arbeit an Ihnen geleistet. Könnten wir Sie vielleicht nächstes Jahr in die Pathologie lokken?«
Langsam kamen die Angebote, ein Zeichen, daß der Kampf zu Ende war. »Leider nein.«
»Die Bezahlung nicht hoch genug?«
»Stimmt zum Teil, aber nicht ganz. Ich möchte es nicht hauptberuflich machen.« Es lag nicht im Plansoll Silverstones.
Sack nickte. »Nun, Sie sind diesbezüglich wenigstens ehrlich. Lassen Sie es mich wissen, sollten Sie es sich je anders überlegen.«
Er hatte also wenig Grund, das Krankenhaus zu verlassen. Die alten Backsteingebäude wurden seine Welt. Seine Stunden in der Pathologie waren unregelmäßig, aber nicht unangenehm. Es machte ihm Spaß, allein in der summenden Stille des weißen Labors in dem Bewußtsein zu arbeiten, daß es eine Umwelt war, in der einige Leute zusammenklappten, er jedoch wieder einmal imstande war, Höchstleistungen zu vollbringen.
Er teilte seine Freizeit zwischen der Pathologie und dem Tierlabor, wo er sehr viel von Kender lernte. Die Verschiedenheit der beiden Männer, die ihn das meiste gelehrt hatten, verblüffte ihn.
Lobsenz war ein kleiner, introspektiver Jude gewesen, mit einem leichten deutschen Akzent, der nur dann hörbar wurde, wenn er müde war. Und Kender…
Kender war eben Kender.
Aber vielleicht hatte er sich zuviel vorgenommen. Zum erstenmal im Leben schlief er regelmäßig schlecht und träumte wieder, nicht den Hochofentraum, sondern den Tauchertraum.
Zu Beginn des Traums kletterte er immer die Leiter in das gleißende Sonnenlicht hinauf. Es war sehr realistisch: er spürte die Kühle des Stahlgerüsts in seinen Händen vibrieren,
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