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Die Kluft: Roman (German Edition)

Die Kluft: Roman (German Edition)

Titel: Die Kluft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Ungeheuer. Missgebildete, Ungetüme, Krüppel.
    Wann das war, damals? Ich weiß es nicht.
Damals
war vor sehr langer Zeit, mehr weiß ich nicht.
    Die Höhlen sind alt. Du hast sie gesehen. Es sind alte Höhlen. Sie liegen hoch oben in den Felsen, hoch über allen Wellen, auch über großen, auch über den größten. Bei stürmischer See kann man auf den Klippen stehen und nach unten blicken und denken, dass alles Wasser ist, rundum, aber dann legt sich der Sturm, und das Meer sinkt an seinen Platz zurück. Wir haben keine Angst vor dem Meer. Wir gehören zum Meer. Das Meer hat uns gemacht. Unsere Höhlen sind warm, haben sandigen Boden, sind trocken, und in den Feuern vor den Höhlen verbrennen Treibholz und trockener Seetang und Holz aus den Klippen, und diese Feuer sind nie ausgegangen, seitdem wir sie haben. Es gab eine Zeit, da hatten wir kein Feuer. Das steht in unseren Aufzeichnungen. Unsere Geschichte ist bekannt. Sie wird ausgewählten jungen Leuten erzählt, die sie sich merken und anderen jungen Leuten erzählen müssen, wenn sie selbst alt sind. Sie müssen dann dafür sorgen, dass die sich jedes Wort merken, so, wie man es ihnen selbst erzählt hat.
    Was ich jetzt sage, hat mit dieser Art des Aufzeichnens nichts zu tun. Bevor man die Geschichte den jungen Leuten erzählt – sie haben einen Namen, man nennt sie
Gedächtnisse
 –, erzählen wir sie uns zuerst untereinander, und dann heißt es: »Nein, so war das nicht«, oder: »Ja, so war es«, und wenn sich dann alle einig sind, können wir uns darauf verlassen, dass die Geschichte nichts Unwahres enthält.
    Du willst über mich etwas wissen? Also gut. Mein Name ist Maire. Es gibt immer eine, die Maire heißt. Ich wurde in die Familie derer geboren,
Die die Felsspalte bewachen
, wie meine Mutter und wie deren Mutter auch – diese Worte sind neu. Wenn alle gebären, sobald sie alt genug sind, sind alle Mütter, also muss man nicht
Mutter
sagen. Die Familie derer,
Die die Felsspalte bewachen
, ist die wichtigste. Wir müssen diese Kluft bewachen. Wenn der Mond am größten ist und am hellsten scheint, klettern wir hinauf bis über die Kluft, wo die roten Blumen wachsen, und die schneiden wir dann ab, bis alles rot ist, und lassen Wasser aus der Quelle dort oben fließen, und das Wasser spült die Blumen durch die Felsspalte, von oben bis unten, und wir alle haben unseren Blutfluss. Das heißt, alle, die nicht gebären werden. Na gut, wie du willst, das Mondlicht bringt das Blut zum Fließen und nicht den roten Saft, der durch die Kluft läuft. Aber wir
wissen
, wenn wir die roten Blumen nicht schneiden – sie sind klein und weich wie die Blasen auf dem Seetang und bluten rot, wenn man sie zerdrückt –, wenn wir das nicht tun, haben wir keinen Fluss.
    Die Felsspalte ist jener Felsen dort, der nicht der Eingang zu einer Höhle ist, er ist blind, und er ist das Wichtigste in unserem Leben. Das war schon immer so. Wir sind die Spalte und umgekehrt, und wir haben immer dafür gesorgt, dass dort keine jungen Bäume wachsen und vielleicht groß werden, und keine Büsche. Die Felsspalte ist eine glatte Kluft im Fels, und darunter ist ein tiefes Loch. Jedes Jahr, wenn die Sonne dort drüben auf den Berggipfel fällt, immer in der kalten Zeit, haben wir eine von uns getötet und den Leichnam vom oberen Ende der Kluft hinunter in das Loch geworfen. Du sagst, ihr habt die Knochen gezählt, aber ich verstehe nicht, wie das gehen soll, wo die Knochen doch schon zu Staub geworden sind. Du sagst, wenn man jedes Jahr einen Leichnam hinuntergeworfen hat, ist es nicht schwer, anhand der Knochen herauszufinden, wie lange das schon so geht. Nun, wenn du das so wichtig findest …
    Nein, ich kann nicht sagen, wie es angefangen hat. Das kommt in unserer Geschichte nicht vor.
    Die Alten Weiblichen müssen etwas gewusst haben.
    Wir haben sie nie so genannt, bevor die Ungeheuer geboren wurden. Warum auch? Schließlich gab es nur Weibliche oder Spalten, und was das »Alt« anging – so haben wir einfach nicht gedacht. Menschen wurden geboren und lebten eine Zeit, bis sie beim Schwimmen ertranken oder einen Unfall hatten oder ausgewählt und in die Felsspalte geworfen wurden. Wenn sie starben, wurden sie auf den Todesfelsen gelegt.
    Nein, ich weiß nicht, wie viele wir
damals
waren. Wann auch immer das war. Es gibt diese Höhlen, so viele, wie ich Finger und Zehen habe, und sie sind groß und reichen tief in die Klippen hinein. In jeder Höhle wohnen Menschen von

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