Die Koenigin der Schattenstadt
dem er sich daheim gefühlt hatte? Das würde erklären, weshalb sie hier war. Nicht aber, dass auch Jordi vor der Windmühle erwacht war. Doch halt! Er hatte gesagt, dass er in der Straße davor erwacht war.
Dann musste das jene Straße gewesen sein, in der sie auf den flinken Flickenfetzen in ihn hineingerast war! Wie lange war das jetzt her? Tage, Jahrtausende? Ja, so musste es gewesen sein. Jordi hatte an diese eine Straße gedacht, weil . . .
Sie fiel ihm um den Hals, einfach so. Es war an der Zeit, das zu tun.
Lange hielten sie sich umschlungen und Catalina dachte daran, wie schmerzlich es gewesen war, als Firnis sie nicht hatte berühren können, hier in der Stadt aus Nacht und Nirgendwo. Doch sie beide, Jordi und sie, zwei Schatten, sie konnten zueinanderfinden.
Catalina wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er sich von ihr löste. »Ich hatte Angst, dass du nicht mehr kommst«, gestand er. Dann deutete er auf den Sphinx. »Als ich die Windmühle betrat, habe ich nur den geflügelten Kater gefunden.«
»Er hat mich mit seinen Fragen gelöchert«, schnurrte Miércoles und seufzte gequält auf. »Dabei versteht er mich doch gar nicht. Menschen können ganz schön anstrengend sein.«
Catalina musste lachen. »Das ist Miércoles«, erklärte sie Jordi, »er ist ein Sphinx.«
Der Angesprochene lief durch die auf dem Boden liegenden Karten und sprang schließlich aufs Fenstersims. Die Schattenstadt war noch immer in Bewegung. Schaukelnd und knirschend passierte die Windmühle einen großen Platz, um sich dann neben einem gezeichneten Baum eine kurze Ruhepause zu gönnen.
»Ich bin von hier aus in die Wüste gereist«, sagte Catalina, die sich vorsichtig von Jordi gelöst hatte und ebenfalls zum Fenster hinübergewandert war. »Aber ich bin zu spät gekommen. La Sombría hatte dich schon zu einem Schatten gemacht.«
Er folgte ihr und nickte. »Ich habe dich noch gesehen. Du bist aus der Papierfrau herausgekommen.«
»Das weißt du?«
Er erzählte ihr kurz, was ihm in der Wüste widerfahren war.
Als er geendet hatte, blickte er niedergeschlagen auf den Boden. »Du siehst, mein Plan ist nicht aufgegangen«, sagte er leise. »Am Ende kam es alles ganz anders.«
»Aber das ist gut so«, sagte Catalina, plötzlich aufgeregt. »Denn ich glaube, ich kann auch an diesem Ort zeichnen!«
»Was heißt das?« Er sah sie aufmerksam an.
»Ich muss ein letztes Mal zeichnen, um alles in Ordnung zu bringen. Und ich glaube, ich kann das auch von hier aus.« Sie wusste nicht, wie viel Zeit ihr blieb. Sie hatte keine Ahnung, ob die Königin der Schattenstadt ihr die Flüsterer hinterherschicken würde. Das Gefühl, keinen Körper mehr zu haben, war jedenfalls kein schlimmes. Es war so, als habe man eine Jacke getragen, die man nun abgelegt hatte, das war alles. Dennoch war die Gewissheit, dass ihr Körper eigentlich irgendwo in dieser Wüste lag, gleich neben Jordis, ein wenig befremdlich.
Jordi beugte sich zu ihr und küsste sie. Einfach so. Catalina war erst sprachlos, dann nicht mehr. »Dann bring es in Ordnung«, sagte er. »Ich rühre mich auf jeden Fall nicht vom Fleck. Und zur Sicherheit halte ich mich an dir fest, falls du wieder verschwinden solltest.«
Sie lächelte nur.
Dann lief sie zum Regal, wo alles bereitlag, was sie brauchte, und kehrte zum Fenster zurück. Sie warf einen kurzen Blick nach draußen, vorbei an Miércoles. Sie fragte sich, ob Kassandra Karfax sich überhaupt bewusst war, dass sie auch in der Schattenstadt zeichnen konnte. Und dann, diesem Gedanken folgend, brachen sogleich die Zweifel über sie herein. Vielleicht war sie diejenige, die sich abermals irrte? Womöglich war sie gar keine Bedrohung für La Sombría und Kassandra Karfax.
Sie fegte den Gedanken beiseite.
Nein, sie würde es tun.
Der Sphinx schnurrte und beobachtete aufmerksam den Platz vor dem Windmühlenhaus.
Catalina kniete sich auf den Hocker. Sie hatte sich die Haltung von Arcadio Márquez abgeschaut. Es war die beste Körperhaltung, wenn man zeichnete. Oft hatte sie Stunden so verbracht und der Geruch nach Tinte war ihr in die Nase gestiegen, während sie geduldig und präzise die Karten kopiert hatte, die Márquez ihr gegeben hatte.
Sie musste sich einfach nur konzentrieren.
Dabei schwirrten ihr so viele Dinge im Kopf herum. Sarita, Nuria, das Geheimnis der Kartenmacherinnen.
Nein!
Denk nicht daran!
Sie bemerkte, dass sich Jordi hinter sie gestellt hatte. Er legte eine Hand auf ihre Schulter. Das war
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