Die Königin von Theben
Thebaner brannten der Palast und mehrere Wohnhäuser.
»Warum hast du das veranlasst?«, fragte Seqen.
»Weil ein so schrecklicher Gegner wie Apophis über eine Wahrnehmungsfähigkeit verfügt, die die der gewöhnlichen Sterblichen übertrifft«, antwortete Ahotep. »Man musste ihm einen Beweis liefern, selbst aus der Entfernung, dass unsere Stadt tatsächlich zerstört ist.«
Am gleichen Morgen waren Teti die Kleine, Kamose und Ahmose zu dem geheimen Stützpunkt aufgebrochen, wo sie von nun an wohnen würden.
Ahotep und Seqen begaben sich noch einmal zum Tempel in Karnak, wo der Hohepriester sie empfing.
»Ich habe wieder und wieder die Himmelsgegenden studiert. Drei der vier Richtungen sind offen, und es steht günstig für uns. Doch der Norden bleibt hartnäckig verschlossen, und kein Gebet, keine Litanei bringt ihn dazu, sich zu entriegeln.«
»Gibt es nicht eine Kapelle in diesem Tempel, die man nicht betreten kann?«, fragte die Königin.
»Ja, die zentrale Kultstätte Amuns … Aber Ihr wisst genauso gut wie ich, dass sie sich erst an dem Tag öffnen wird, an dem Ägypten seine Freiheit wiedergewonnen hat.«
»Amun ist der Gott des belebenden Windes, des Nordwindes … Er selbst verlangt, dass wir jetzt sein Gebot verletzen.«
»Tut das nicht, Majestät! Das hieße, das Schicksal selbst herauszufordern.«
»Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Durch Nichtstun halten wir Ägypten in der Sklaverei. Nur Amun kann uns den Weg nach Norden öffnen!«
»Der Herr von Karnak wird Euch zerschmettern!«
»Ich bin nicht seine Feindin.«
Ernst und gesammelt stand Ahotep vor der verschlossenen Tür.
Sie zog den Riegel aus geschnitztem Holz zurück und betete dabei im Stillen zu Amun, dem ›Verborgenen‹, dem ›Herrn der Strahlen‹, dem ›Gleichmäßigen‹, auf dem die Schöpfung beruhte, dass er ihr zu Hilfe kommen möge.
Als die Tür einen Spaltbreit offen stand, schlüpfte die Königin ins Innere der kleinen Kapelle, die nur von einem schwachen Lichtstrahl erhellt war. Sie erkannte das Standbild des Gottes, auf seinem Thron sitzend.
In der rechten Hand hielt Amun ein mit Silber überzogenes Krummschwert mit Elektron-Einlegearbeiten. Auf seiner Brust lag eine goldene Lotosblüte.
»Wir brauchen dein Schwert, o Herr. Es wird uns die Kraft geben, den Herrn der Finsternis zu besiegen.«
Ahotep legte ihre Hand auf die Hand aus Stein, auf die Gefahr hin, sie nicht mehr zurückziehen zu können.
Der Granit war nicht kalt. In ihm kreiste eine unwandelbare Energie.
Als der Gott die Bitte der Königin gewährte, ging von dem Schwert ein intensives Leuchten aus, das die ganze Kapelle erhellte.
Ahotep entfernte sich rückwärts gehend und mit gesenktem Kopf.
Als sie das Schwert des Lichts schwenkte, das so machtvoll strahlte wie die Mittagssonne, verhüllten Seqen und die Priester ihr Gesicht.
»Die Tür der Amunkapelle bleibt bis zum Sieg geschlossen«, verkündete Ahotep. »Doch jetzt ist der Arm des Pharao bewaffnet, und der Weg in den Norden ist offen.«
Vor dem kleinen Palast der Basis am Westufer war ein Garten angelegt worden, der immer schöner wurde. Eine Laube war von Palmen und Tamarisken eingerahmt.
Im Schatten dieser Bäume vergaßen Ahotep und Seqen die Aufregung, die ringsum herrschte, und gaben sich einem Augenblick des Glücks hin. Ihr Gefühl füreinander war umso intensiver, da sie sich bald trennen sollten.
Jeder von ihnen war sich bewusst, was auf dem Spiel stand und was als Nächstes auf sie zukam. Der Pharao musste seine Truppen in den Kampf führen, und die Königin sollte während seiner Abwesenheit Theben regieren.
»Ich habe eine solche Lust zu leben«, bekannte er, während er ihren schönen Körper streichelte, »ich habe eine solche Lust, dich zu lieben, bis uns das hohe Alter ans andere Ufer trägt, ich kann mir nichts anderes vorstellen, als mit dir zusammenzubleiben bis zum Schluss – und selbst der Tod wird uns nicht voneinander trennen.«
»Nein, kein Tod wird uns trennen können«, versprach sie ihm. »Wenn du im Kampf gegen die Finsternis untergehst, wird mein Arm dein Schwert nehmen, und deine Kraft wird mich beseelen. Du wirst der einzige Mann in meinem Leben bleiben, Seqen. Das habe ich geschworen, und ich werde meinen Eid niemals brechen.«
In inniger Umarmung betrachteten sie den unermesslichen Himmel, der sich über ihnen wölbte, und ihre Blicke verloren sich in seiner Weite. Warum hatten die Götter ausgerechnet sie auserkoren, um etwas so
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