Die Königin von Theben
Majestät! Theben ist eine arme, wehrlose Stadt, die keinerlei Gefahr darstellt. Prinzessin Ahotep und Prinz Seqen sind einzig mit ihrer kleinen Familie beschäftigt und haben nicht die leiseste Absicht, uns Schaden zuzufügen.«
»Hast du dich mit dem Landwirtschaftsminister unterhalten?«
»Er ist gerade gestorben. Aber Ihr könnt sicher sein, dass der Lärm der Nilpferde Euch nicht mehr stören wird. In der Region ist alles ruhig.«
Apophis streichelte seine Flasche aus blauem Steingut, auf dem die Karte Ägyptens gezeichnet war. Als er Hitze fühlte, setzte er seinen Zeigefinger auf die Provinz Theben, die in einem beruhigenden roten Glanz schimmerte. Aber plötzlich empfand der König eine sonderbare Unruhe. Er ließ nicht los. Und der Schimmer begann zu flackern.
»Du Idiot! Sie haben dich reingelegt!«
»Majestät, ich versichere Euch …«
»Mit einem alten Trottel wie dir wird der Stier leichtes Spiel haben. Das ist nicht sehr amüsant … Also wirst du das Labyrinth kennen lernen.«
Großschatzmeister Khamudi und Admiral Jannas waren zu einer dringenden Lagebesprechung in den Geheimraum der Zitadelle bestellt worden, wo man sicher war, dass kein neugieriger Lauscher das Gespräch mithören konnte.
»Irgendetwas geht in Theben vor«, verkündete der König. »Unser Gesandter hat nichts bemerkt, aber ich bin davon überzeugt, dass es Aufrührer gibt, die im Schatten arbeiten.«
»Meine Informanten haben mir nichts dergleichen berichtet, Majestät«, sagte Jannas. »Die Provinz Theben ist eine der reichsten Ägyptens, doch von ihrer Produktion bekommen wir den Löwenanteil. Vielleicht bereitet sich eine Palastrevolte vor; aber wäre es für uns von Bedeutung, wenn Königin Ahotep von irgendeiner anderen Thebanerin ersetzt würde?«
»Diese Unsicherheit geht mir auf die Nerven – Theben geht mir auf die Nerven! Die Herrschaft der Hyksos darf nirgends auf der Welt in Frage gestellt werden, und vor allem nicht in Ägypten!«
»Wünscht Ihr, dass wir Truppen entsenden?«, fragte Jannas.
»Theben muss zerstört werden«, sagte Apophis mit Entschiedenheit. »Und wir haben auch den Mann, den es für die Arbeit braucht. Emheb soll den Befehl erhalten, diese unerträgliche Stadt dem Erdboden gleichzumachen!«
»Unmöglich, Majestät«, sagte der Hohepriester von Karnak.
»Warum?«, fragte Ahotep erregt.
»Weil die vier Richtungen verschlossen sind. Solange sie sich nicht öffnen, wird jeder Angriff zu totalem Scheitern verurteilt sein.«
Die Königin konnte sich der Botschaft der Götter nicht widersetzen. »Wie kann man die Öffnung bewerkstelligen?«
»Traditionsgemäß regiert das königliche Paar erst wirklich, wenn es das große Papyrusdickicht im Norden Thebens durchquert hat. Doch dort ist alles voller giftiger Schlangen und Krokodile. Wer sich hineinwagt, setzt sein Leben aufs Spiel.«
»Was die Götter wollen, muss ausgeführt werden.«
Trotz des formellen Einspruchs von Teti der Kleinen machten sich König und Königin allein und ohne Waffen auf den Weg, nachdem sie die Kinder ihrer Großmutter anvertraut hatten. Der gefährlichste Ort der ganzen Provinz, der selbst von den erfahrensten Jägern tunlichst vermieden wurde, erwartete sie.
Seqen hatte keinen Moment gezögert. Seine Soldaten waren nervös und voller Ungeduld. Das lange Warten zehrte an ihren Kräften.
Die Königsbarke näherte sich langsam dem riesigen Papyrusdickicht. Dutzende von großen Vögeln flogen auf – die Begleiter Seths.
Ahotep zog einige Papyrusstängel zusammen und rieb sie. Das Geräusch, das die lastende Stille durchdrang, besänftigte die feindlichen Kräfte, die den Eindringlingen bedrohlich auflauerten.
Das Paar drang in das Innere des Dickichts ein, wo am helllichten Tag ein stetiger Dämmer herrschte. Seufzende und klagende Geräusche einer anderen Welt ließen ihnen Angstschauer über den Rücken rieseln.
Und plötzlich richtete sie sich vor ihnen auf, ungeheuer groß und lodernd in ihrem feurigen Glanz! Eine weibliche Königskobra, in den alten Texten ›die Zerfleischerin‹ genannt, ›die Göttin der Beständigkeit›, ›die im Lichterglanz Strahlende‹ oder ›die erste Mutter, die am Anfang war und die Grenzen des Universums kennt‹.
Ahotep hielt dem Blick der Schlange stand. »Du kannst mich töten, aber ich fürchte dich nicht, denn du bist die Herrin der Ohnmacht des Herzens. Gib mir deine Flamme, damit ich zerstöre, um Neues zu schaffen!«
Die Kobra schwankte, vor und zurück, nach
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