Die Königin von Theben
kann Theben die Kraft zurückgeben, die ihm fehlt.«
»Ich habe keine Lust, deinen Platz einzunehmen, Mutter!«
»Das spielt keine Rolle. Das Unsichtbare hat sich ausgedrückt, der Hohepriester hat das Orakel beglaubigt. Willst du dich gegen das Wort des Himmels empören, der die Seelen der von dir verehrten Pharaonen aufgenommen hat?«
»Ich werde den Rat der Göttin Mut einholen.«
Auge des göttlichen Lichts, Trägerin der Doppelkrone, Gemahlin des Ursprungs, genährt von Maat, gleichzeitig männlich und weiblich – so erschien Mut vor Ahotep am Ort der Stille.
Ahotep wagte es, das Standbild zu betrachten. Es wurde von einem schwachen Lichtstrahl aus einer in der Decke der Kapelle angebrachten Öffnung beleuchtet.
»Du hast mir erlaubt, dein Zepter zu berühren, und du hast mich deine Macht kosten lassen. Weil ich dir vertraute, habe ich meine ersten Kämpfe führen können, und ich bin bereit weiterzukämpfen, trotz aller Gefahr. Aber die Sonne der Nacht fordert noch mehr: dass ich Königin Ägyptens werde. Dieses Amt begehre ich nicht. Es ist zu schwer für meine schwachen Schultern. Wenn ich jedoch das Orakel ignoriere und dem Willen der Götter entgegenhandle, wird meine Weigerung Thebens Not vergrößern, und diejenigen, die Widerstand leisten, werden jede Hoffnung verlieren. Ohne dich bin ich verloren. Ich brauche dich, damit du mir den richtigen Weg zeigst. Also antworte auf meine Frage: Soll ich den Beschluss des vollen Mondes akzeptieren?«
Die Augen des Standbilds röteten sich, das Lächeln der Löwin zeigte sich deutlicher. Und der granitene Kopf neigte sich nach vorn und nach hinten, sehr langsam, dreimal.
Von der Palastterrasse aus betrachteten Teti die Kleine und Ahotep das Westufer, wo die Sonne sich nun zur Erde senkte, um in das Reich des Todes einzugehen und ihre Wiedergeburt vorzubereiten. Der Mond war schon aufgegangen. Er strahlte in ungewöhnlichem Glanz.
»Was ist eine Königin Ägyptens, meine Tochter? Die schöngesichtige Herrscherin der Zwei Reiche, voller Anmut; die Freundin der Liebe, die die Gottheit besänftigt, voll magischer Ausstrahlung, wenn sie mit einnehmender Stimme beim Opfer die Hymnen singt und mit reinen Händen das Sistrum spielt; die Zauberin, die den ganzen Palast mit dem Duft ihres Parfüms erfüllt und kein unnötiges Wort ausspricht … Sie ist die Einzige, die fähig ist, Horus zu erblicken und gleichzeitig Seth, der sich in ihrer Nähe beruhigt, sie kennt die Geheimnisse des kosmischen Kampfes der beiden Brüder, der in Ewigkeit nicht aufhören wird. Jeder wird alles tun, um die Königin zu verstehen, denn sie kann die Gegensätze vereinigen, sie lebt, um Maat und Hathor zur Macht kommen zu lassen, Gerechtigkeit und Liebe.«
»Das sind unmögliche Aufgaben, Mutter!«
»Es sind die Aufgaben, die die Weisen in der Zeit der Pyramiden einer Königin Ägyptens stellten. Viele von denen, die mir vorausgingen, haben sie erfüllen können; ich bin gescheitert. Du, die du mir folgen wirst, sollst sie nie aus den Augen verlieren. Je höher man steigt, desto schwerer die Pflichten, die man auf sich nimmt. Du, die du die Spitze erreichen wirst, wirst keine Ruhe mehr finden und keine Ausrede.«
Ahotep hatte Angst.
Dieses Gefühl war stärker und tiefer als alle Ängste, die sie bisher empfunden hatte. Sie hätte es vorgezogen, sich mit mehreren Hyksossoldaten schlagen zu müssen, als sich dieser kleinen, zerbrechlichen Frau gegenüberzusehen, deren Größe ihr jetzt klar wurde.
»Das Haus der Königin stirbt, meine Tochter. Du musst es wieder aufbauen. Umgib dich mit treuen und sachkundigen Leuten, regiere ohne Härte, sodass alles, was du berührst, sich zum Wohle unseres Volkes entwickelt. Ich bedaure es, dass der Himmel so unbarmherzig ist, dass er dir in der Stunde, in der unser Land fast schon untergegangen ist, ein so schweres Amt aufbürdet. Doch du bist unsere letzte Chance, Ahotep.«
Auf einmal hatte die schöne junge Frau Lust, wieder zum Kind zu werden, ihre Jugend zu verlängern, sich ihres wohlgestalteten Körpers zu freuen, all die herrlichen Vergnügungen, die das Leben bietet, in vollen Zügen zu genießen, bevor das düstere Verhängnis Theben erreichte.
»Zu spät«, sagte die Königin, die die Gedanken ihrer Tochter las. »Das Orakel hat gesprochen, du hast das Einverständnis der Göttin Mut erhalten, und dein Schicksal ist im Stein ihres Standbilds eingegraben. Es gibt nur einen einzigen Umstand, der verhindern würde, dass sich dieses
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