Die Königin von Theben
Gegend. Er war der Göttin Hathor geweiht. Der Zustand der vor dem Gebäude liegenden Gärten bewies, dass es nicht mehr genügend Priester und Hilfskräfte gab, um den Tempel angemessen zu unterhalten.
Nordwind blieb stehen und sog die Luft tief in seine Nüstern. Dann trottete er noch munterer weiter.
»Kein Hyksos weit und breit«, schloss Ahotep aus seinem Verhalten.
Eine alte Frau trat aus dem Vorhof des Heiligtums.
»Ich bin die Hohepriesterin dieses Tempels«, erklärte sie. »Heute sind wir zu arm, um Gäste aufzunehmen und zu bewirten. Deshalb bitte ich Euch, Eure Reise fortzusetzen.«
»Wir sind keine Bittsteller«, sagte Ahotep. »Wir sind wegen der heiligen Weide gekommen.«
»Sie stirbt, wie das ganze Land. Weder Ihr noch ich können irgendetwas dagegen tun.«
»Da bin ich ganz anderer Ansicht, Hohepriesterin.«
»Weshalb sagt Ihr das – wer seid Ihr?«
»Ahotep, Königin der Zwei Reiche.«
»Ist Teti die Kleine etwa tot?«
»Meine Mutter ist sehr lebendig, aber sie hat mir die Macht übertragen.«
»Die Macht, Majestät … aber welche Macht?«
»Vielleicht die Macht, die Weide von Dendera wiederzubeleben.«
»Ach! Das ist leider unmöglich. Ihr werdet ihr Euch nicht einmal nähern können.«
»Ich bestehe darauf, Hohepriesterin.«
Mit müdem Schritt führte die alte Frau die beiden Besucher zur Rückseite des Tempels.
In der Mitte eines Wasserbeckens stand eine große Weide mit welken Blättern und einem so sehr gekrümmten Stamm, dass es schien, sie würde im nächsten Augenblick umfallen.
Als Ahotep die niedrige Mauer überstieg, um sich den Baum aus der Nähe anzusehen, begann das Wasser zu schäumen, und das Maul eines Krokodils tauchte drohend vor ihr auf, sodass sie sich schleunigst zurückzog.
»Unser Schutzgeist hat sich gegen uns gewandt«, sagte die Hohepriesterin. »Wenn die Weide fällt, wird der böse Zauber endgültig die Oberhand gewinnen.«
»Ich werde sie wieder aufrichten«, sagte Seqen entschlossen. Er fühlte sich getrieben von einer Macht, die stärker war als er selbst.
»Ihr dürft Euer Leben nicht aufs Spiel setzen«, sagte die Hohepriesterin.
»Wisst Ihr noch die Worte zur Aufrichtung der Weide?«, fragte Ahotep.
»Natürlich. Aber das ist ein königliches Ritual, das seit langer Zeit nicht mehr praktiziert worden ist.«
»Rezitiert die Worte. Ich werde Seqen schützen.«
Ahotep nahm die Haltung der Göttinnen ein, von deren Händen sich belebende Strahlen wellenförmig über ihre Schützlinge ergossen, während die Hohepriesterin die Worte der alten Schriften erklingen ließ. Sie feierten den Augenblick, in dem der heilige Baum sich, angeregt von der im Zenit stehenden Sonne, zu seiner vollen Größe in den Himmel erhob.
Mit vor Angst klopfendem Herzen stieg Seqen in das Becken.
Wenn das Krokodil angriff, würde Ahotep ihm sofort zu Hilfe eilen.
Doch das Furcht erregende Tier zog sich zurück. Wütend peitschte sein Schwanz das Wasser; aber die Schläge wurden immer schwächer, und Seqen gelangte wohlbehalten zu dem Baum.
Er beugte sich nieder, tauchte die Hand ins Wasser und zog ein kleines Krokodil aus Holz heraus.
»Damit ist das Ungeheuer bezwungen!«
»Seht nur, der Baum!«, rief die Hohepriesterin.
Langsam erhob sich die Weide, die Blätter drehten sich zum Licht und zeigten ihre schöne, silbrige Innenseite.
»Der böse Zauber ist besiegt«, sagte Ahotep.
»Wie ist das möglich?«, fragte die Hohepriesterin staunend. »Nur ein legitimer Pharao kann eine solche Tat vollbringen!«
Gesammelt und schweigend sahen Ahotep und Seqen sie an.
»Ihr, die Königin Ägyptens … Und Ihr, ihr Gemahl, der König … Das ist die Wahrheit, nicht? Aber Ihr habt weder Begleitschutz noch Diener, und Ihr seht aus wie gewöhnliche Bauern!«
»Anders können wir uns im besetzten Gebiet nicht bewegen«, erwiderte Ahotep. »Doch jetzt, da der Zauber gebrochen ist, gebt uns das heka!«
»Um das stärkste heka zu erlangen, müsst Ihr nach Heliopolis gehen.«
»Diese heilige Stadt liegt viel zu nah an der Hyksoshauptstadt«, wandte Ahotep ein. »Auf dem Weg wird man uns festnehmen.«
»Wenn es so ist, Majestät, müsst Ihr Euch mit dem heka der Göttin Hathor begnügen. Wegen der Macht des bösen Zaubers und der Schwäche des heiligen Baumes gab es diese Energie lange nicht mehr in unserem Tempel. Hoffen wir, dass die Wiederaufrichtung des Baums die Harmonie wiederhergestellt hat.«
Das Paar folgte der Hohepriesterin ins Innere des Heiligtums, bis zur
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