Die Königliche (German Edition)
uns setzen«, sagte sie, woraufhin sich alle vorstellten, Hände geschüttelt wurden, Manuskripte vom Tisch geräumt, zusätzliche Stühle gefunden und zwischen die anderen gezwängt wurden. Und die Namen praktisch unmittelbar wieder vergessen waren, weil so viel anderes vorging. Es war eine Gruppe aus neun Reisenden: drei Forscher, vier Wachleute, ein Heiler und die Lady, Letztere als Gesandte und lautlose Übersetzerin, die Bitterblue anbot, sie Fire zu nennen. Ein Großteil der Reisenden hatte dunklere Haut als die sonnengebräuntesten Lienids, die Bitterblue je gesehen hatte, abgesehen von einem etwas blasseren Paar und dem Mann, der vorhin gesprochen hatte und der genauso blass war wie Madlen. Ihre Haar- und Augenfarben hatten ganz unterschiedliche Schattierungen – gewöhnliche Schattierungen, abgesehen von Lady Fire. Und trotzdem war da etwas in ihrem Aussehen – in ihrem Unterkiefer? Ihren Mienen? –, das sie alle gemeinsam hatten. Bitterblue fragte sich, ob sie ihrerseits auch eine charakteristische Ähnlichkeit zwischen ihr und ihren Freunden wahrnahmen, wenn sie sie ansahen.
»Ich verstehe das nicht ganz«, sagte sie. »Nichts davon.«
Lady Fire sagte etwas, was der blasse Mann mit seinem netten, lustigen Akzent zu übersetzen begann. »Die Berge waren immer zu hoch«, sagte er. »Es gab … Geschichten, aber keinen Weg darüber oder …« Er machte eine Handbewegung.
»Darunter hindurch«, sagte Bo.
»Ja. Keinen Weg darunter hindurch«, sagte der Mann. »Vor fünfzehn Jahren brachte ein …« Er hielt erneut verwirrt inne.
»Ein Erdrutsch«, sagte Bo, »brachte einen Tunnel zum Vorschein. Und jetzt werden die Geschichten nicht mehr nur Geschichten sein.«
»Bo«, sagte Bitterblue, irritiert, dass er seine Fähigkeit öffentlich zur Schau stellte, obwohl sie wusste, dass er vorgab, Lady Fire würde in Gedanken mit ihm sprechen. Oder vielleicht sprach sie wirklich in Gedanken mit ihm und wenn dem so war, wusste Lady Fire dann, was Bo war? Machte sie das nicht noch tausendmal gefährlicher? Oder … Bitterblue fasste sich an die Stirn. Hatte Bitterblue, indem sie hier saß und über all das nachdachte, Lady Fire Bos Geheimnis verraten?
Bos Hand fand einen Weg um Katsa herum zu Bitterblues Schulter. »Ganz ruhig, Biber«, sagte er. »Das ist nur eine Folge zu vieler schrecklicher Tage. Ich glaube, das hier wird dir wie eine gute Nachricht vorkommen, sobald du Zeit hattest, es zu verarbeiten.«
Ich kann mich noch an den Tag erinnern, an dem wir alle im Kreis hier in der Bibliothek auf dem Boden saßen , sagte sie in Gedanken zu ihm. Damals war die Welt viel kleiner und trotzdem schon zu groß.
Jeder Tag ist so überwältigend.
Der blasse Mann versuchte erneut zu sprechen und sagte etwas darüber, wie leid es ihnen allen tue, zu so einem ungünstigen Zeitpunkt zu kommen. Bitterblue hob den Blick und sah ihn an, während er sprach, im Versuch, etwas einzuordnen.
»Es hat etwas Vertrautes an sich, wenn Sie sprechen«, sagte sie.
»Ja, Königin«, stimmte Todd ihr trocken zu. »Vielleicht liegt es daran, dass es eine ausgeprägtere Variante des Akzents ist, mit dem Ihre Heilerin Madlen spricht.«
Madlen , dachte Bitterblue und starrte den Mann an. Ja, wie merkwürdig, dass er genau wie Madlen klingt. Und wie merkwürdig, dass er genau wie Madlen blass ist, mit bernsteinfarbenen Augen. Und …
Meine beschenkte Heilerin Madlen.
Es gibt keine Beschenkten in den Dells.
Aber Madlen hat nur ein Auge.
Und damit verwandelte sich einer von Bitterblues Ankern in dieser Welt einfach so in eine völlig Fremde.
»Oh«, sagte sie benommen. »Oje.« Sie musste an all die Bücher in Madlens Zimmer denken und fand die Antwort auf eine weitere Frage. »Todd«, sagte sie, »Madlen hat Lecks Tagebücher auf meinem Bett gesehen und anschließend ist dieses Wörterbuch in Ihrem Regal aufgetaucht. Das Wörterbuch gehört Madlen.«
»Ja, Königin«, sagte Todd.
»Sie hat mir gesagt, sie käme aus dem äußersten Osten Estills«, sagte Bitterblue. »Holt sie. Irgendjemand soll sie holen.«
»Wenn Sie gestatten, Königin«, sagte Helda mit düsterer Stimme, die Bitterblue froh darüber sein ließ, in diesem Moment nicht Madlen zu sein.
Helda stand auf und rauschte davon und Bitterblue starrte ihre Gäste an. Sie waren jetzt alle ein wenig verlegen.
»Lady Fire entschuldigt sich, Bitterblue«, sagte Katsa. »Sie sagt, es wäre unangenehm, beim Spionieren ertappt zu werden, aber bedauerlicherweise wäre der
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