Die Königliche (German Edition)
Verzicht aufs Spionieren keine Alternative, wie du zweifellos verstehen wirst.«
»Ich verstehe, dass es unter diesem Aspekt interessant sein könnte, die friedlichen Absichten, mit denen sie angeblich hergekommen sind, näher zu definieren«, erwiderte Bitterblue. »Haben sie Madlen dazu gebracht, sich das Auge auszustechen?«
»Nein«, sagte Lady Fire nachdrücklich.
»Niemals«, fügte Katsa hinzu. »Madlen hat ihr Auge schon als Kind bei einem Experiment mit Flüssigkeiten und einem Pulver, das explodiert ist, verloren. Das gab ihr die Möglichkeit, sich als jemand anderes auszugeben.«
»Aber woher kann sie so gut heilen? Sind alle Heiler in den Dells so brillant?«
Katsa übersetzte. »Die Heilkunde ist dort sehr weit entwickelt, Bitterblue. Dort wachsen Heilmittel, die wir hier nicht haben, vor allem im Westen, wo Madlen herkommt, und Forschung hat einen hohen Stellenwert. Madlen ist während ihrer Zeit hier mit den besten dellianischen Arzneien versorgt worden, damit sie ihre Tarnung aufrechterhalten konnte.«
Forschung , dachte Bitterblue. Echte Forschung. Diese Art von Fortschritt würde mir für mein Königreich auch gefallen, auf gesunde Art, ohne Größenwahn. Plötzlich liebte sie Bo für seinen dämlichen Papierflieger, weil seine Experimente auf der Realität beruhten.
Dann betrat Madlen die Nische. Als Erstes ging sie zu Lady Fire und küsste ihr die Hand, wobei sie etwas in ihrer Sprache murmelte. Dann ging sie um den Tisch herum zu Bitterblue und fiel vor ihr auf die Knie. »Königin«, sagte sie mit gesenktem Kopf und belegter Stimme. »Ich hoffe, Sie vergeben mir, dass ich Sie getäuscht habe. Ich habe es nicht gern getan. In keinem Moment habe ich mich dabei wohlgefühlt, und ich hoffe, Sie erlauben mir, als Ihre Heilerin bei Ihnen zu bleiben.«
Da wurde Bitterblue klar, dass ein Mensch lügen und gleichzeitig die Wahrheit sagen konnte. Madlen hatte sie in gewisser Weise zum Narren gehalten. Aber Madlens Fürsorge für Bitterblues Körper und ihr Herz war echt gewesen.
»Madlen«, sagte sie, »ich bin erleichtert. Ich hatte mich schon gewappnet, Sie zu verlieren.«
Das Gespräch wurde fortgesetzt. Bitterblues Vorstellung von der Welt war noch nie so weit ausgedehnt worden und ihr wurde ganz schwindelig davon.
Die Dellianer beschrieben, wie es gewesen war, eine Welt westlich von ihnen zu entdecken. Sie wussten, was Krieg bedeutet, und ihr König hatte kein Bedürfnis danach. Als sie auf ein Land aus sieben Königreichen stießen, in dem so viele Regenten Kriegstreiber waren, hatten sie sich daher für heimliches Erforschen entschieden, anstatt sich offen zu erkennen zu geben.
Sie forschten auch Richtung Osten.
»Pikkia verfügt über eine beachtliche Marine«, erklärte Katsa, »und die Dellianer haben auch langsam eine Marine aufgebaut. Sie haben ihren Küstenstreifen und die Meere erforscht, Bitterblue.«
Sie hatten Karten mitgebracht. Eine untersetzte, zäh wirkende Frau namens Midya gab sich große Mühe, sie zu erklären. Die Karten zeigten riesige Flächen Land und Wasser und im Norden nicht befahrbares Eis.
»Midya ist eine berühmte Meeresforscherin, Bitterblue«, sagte Katsa.
»Ist sie dann aus Pikkia oder den Dells?«
»Midya hat eine dellianische Mutter und ihr Vater war aus Pikkia«, sagte Katsa. »Streng genommen ist sie Dellianerin, weil sie in den Dells geboren wurde. Ich habe gehört, dass gerade in den letzten Jahrzehnten eine starke Durchmischung stattgefunden hat.«
Durchmischung. Bitterblue sah sich am Tisch um, betrachtete all die Leute, die in ihrer Bibliotheksnische zusammengekommen waren. Menschen aus Monsea, den Middluns, Lienid, den Dells, Pikkia. Beschenkte … und was auch immer Lady Fire war.
»Lady Fire ist das, was man ein ›Monster‹ nennt«, sagte Katsa leise.
»Monster«, wiederholte Bitterblue. »Ozalieg.«
Alle am Tisch, die Dellianisch sprachen, blickten auf und starrten sie an.
»Entschuldigen Sie mich«, sagte Bitterblue, stand auf und verließ den Tisch. Entfernte sich ein ganzes Stück. Sie fand eine dunkle Stelle hinter ein paar Bücherregalen und setzte sich in die Ecke auf den Teppich.
Sie wusste, was geschehen würde. Bo würde zu ihr kommen oder zu ihr schicken, wen immer er für den Richtigen hielt. Aber es würde nicht helfen, weil keiner Recht hatte. Zumindest keiner, der noch am Leben war. Sie wollte sich nicht an der Schulter eines Lebenden ausweinen oder sich aufmunternde Dinge anhören. Sie wollte raus aus dieser Welt,
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