Die Kolonie
geschlafen, wenn sie
nicht gerade ein Schlafmittel nahm, das ihre Sinne gnädig
vernebelte. Doch selbst dann träumte sie von Tod, Feuer und
Verderben.
Doch der sterbende Mann in ihren Träumen war ihr Vater.
Hamud hatte sie versteckt, und viele Wochen lang mußte sie
vor der Miliz und den Häschern ihres Vaters fliehen. Bahjat
hatte sich in ihrer Rolle als Scheherazade, der meistgesuchten
Revolutionärin der Welt, an das abenteuerliche Leben im
Untergrund gewöhnt, mußte jetzt aber feststellen,
daß es etwas ganz anderes war, kein sicheres Asyl mehr zu
haben, wo man unterschlüpfen konnte. Das vornehme Haus ihres
Vaters und dessen Dienerschaft waren für sie weitaus
gefährlicher als ein beklemmend heißes, fensterloses
Zimmer in einer Hütte unter dem Dach eines armseligen Arbeiters.
Sie konnte sich nicht einmal mehr ihrer Kreditkarte bedienen, um ein
Hotel oder Restaurant zu betreten.
Trotz ihres Schmerzes lächelte sie vor sich hin. Es ist
gar nicht so romantisch, wenn man gezwungen ist, ständig auf der
Flucht zu sein.
Doch während sie am glatt polierten Mast des Schoners lehnte,
wußte sie, daß sie jeder Prüfung standhalten, jeder
Gefahr ins Auge sehen und jeden Preis dafür bezahlen würde,
um den Mord an jenem Mann zu rächen, den sie geliebt hatte.
Während sie auf die rollende, wogende See hinausblickte,
wunderte sie sich darüber, wie gerade und absolut der Horizont
war. Weder Dunst noch Wolken störten die harmonische Teilung
zwischen Himmel und Meer.
Man ist entweder das eine oder das andere, sagte Bahjat zu
sich. Ich habe viel zu lange den Revolutionär gespielt. Hamud
hatte recht. Ich kann die privilegierte Klasse nicht zerstören,
solange ich selbst dieser Klasse angehöre.
Da man in jeder Straße, auf jedem Pier, in jedem Laden nach
ihr suchte, konnte sich Bahjat nicht lange in Basra halten. Hamud
sagte ihr, es sei unmöglich, hier ein Schiff zu kriegen. Sie
verließen die Stadt versteckt zwischen Gütern eines
Lastwagens, den ein junger RUV-Mann steuerte. In der drangvollen Enge
spürte Bahjat Hamuds Hände an ihrem Körper und seine
Lippen auf ihrer Haut. Sie wehrte sich nicht, leistete keinen
Widerstand. Selbst als er ihr auseinandersetzte, was er von ihr
erwartete, hörte sie nur teilnahmslos zu und ließ ihn
gewähren. Es war nur ihr Körper, von dem er Besitz ergriff.
Und wenn es ihm Vergnügen bereitete, so war es nur ein geringer
Preis für seine Hilfe.
Aber sie mußte sich auf die abstoßende, heiße
Umgebung konzentrieren, nur um nicht an Dennis zu denken,
während Hamud sie keuchend nahm und ihr verschwitzter
Rücken schmerzhaft die Schlaglöcher registrierte.
Sie fuhren zum Stadthafen von Tripolis im alten Libanon und
überredeten den Kapitän eines Frachters, einen Passagier an
Bord zu nehmen.
Hamud hatte aus Sicherheitsgründen beschlossen, das
Mittelmeer getrennt zu überqueren.
Der Segler hatte drei Mann an Bord nebst einem Computer, der die
Segel kontrollierte. Da die Frachtensegler so gut wie keinen
Brennstoff brauchten und sanft dahinfuhren, ohne die Umwelt zu
verunreinigen, waren sie eine echte Sparmaßnahme. Die
Händler, die ihre Bestellungen rechtzeitig aufgaben, konnten die
Hälfte ihrer Transportkosten sparen, wenn sie für ihre
Lieferungen einen Segler heuerten.
Die beiden Unteroffiziere ließen Bahjat in Ruhe. Sie
schienen sich mehr für sich selbst als für ein weibliches
Wesen zu interessieren.
Der Kapitän, ein verschmitzter, untersetzter Türke mit
einem Edelstein im Schneidezahn hatte Bahjat in der ersten Nacht,
nachdem sie aus Tripolis ausgelaufen waren, seine Kabine angeboten.
Sie lehnte ab. Spät in der Nacht kam er in ihre Kabine,
öffnete leise die Tür und lächelte sie in ihrer Koje
an.
Das Licht über der Koje flackerte auf, und er blickte in den
Lauf ihrer kleinen automatischen Pistole. Der Kapitän
zögerte beim Anblick der Waffe. Als er aber dann sah, daß
die Waffe einen Schalldämpfer trug, machte er kehrt, ohne ein
Wort zu sagen, und verließ die Kabine.
Sie kann mit Waffen umgehen, das war sein erster Gedanke.
Und dann dachte er bei sich: Vielleicht ist da einer, der ein
Lösegeld für sie zahlt. Ich muß herausfinden, wer das
ist, sobald wir in Neapel sind.
Von da an wurde Bahjat nicht mehr belästigt. Nun stand sie
auf dem Hauptdeck, leicht an den knarrenden Mast gelehnt und blickte
in die Leere des Meeres und des Himmels hinaus.
Alles ist wüst und leer, dachte sie. Die ganze Welt
ist wüst und leer wie meine Seele.
Aber sie
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