Die Kompanie der Oger

beinahe geschafft, das Herz herauszuziehen. Die Leere hatte nur noch ein paar Sekunden, um von der Schwäche des Dämons zu profitieren. Andernfalls würde der Kampf der Giganten von vorn losgehen.
    Die Irre Leere hob ihren Stab, um ihn in Rucka hineinzujagen.
    Die Göttin beugte sich herüber und flüsterte der Leere ins Ohr.
    »Es hat eine Bedeutung. Wenn nicht für dich, Ned, dann für sie.«
    Die Leere zögerte. Vor nicht allzu langer Zeit, nach ihrer Zeitrechnung, hätte sie Rucka, diese Welt, diese Schmutzflecken sowie zahllose andere und außerdem noch das gesamte Universum zerstört, ohne darüber nachzudenken. Doch die Dinge hatten sich geändert. Sie hatte als Mensch gelebt, als viele Menschen. Die genauen Erinnerungen entzogen sich ihr und sie konnte sich nur an Neds Leben erinnern.
    Selbst gemessen an der Bedeutungslosigkeit sterblicher Leben war es eine Übung in absurder Sinnlosigkeit gewesen, komplette Zeitverschwendung, ein Kampf gegen das Schicksal, um einen Platz in einer Welt zu finden, der ein Stäubchen mehr, das über ihre Oberfläche krabbelte, vollkommen egal war. Doch es lag eine sonderbare Würde darin, wie auch in all diesen kleinen Dingen. Und obwohl sie nichts bedeuteten und ihr Leben oder Tod noch viel weniger, betrachtete die Leere sie als seltsam schön, und zwar auf eine Art, die sie sich bis dahin nie vorgestellt hatte und auch nicht ganz verstand.
    Sie senkte den Stab. Die Dunkelheit verblasste und die Nacht kehrte zurück.
    Sie lächelte ihnen zu. Miriam. Regina. Und Frank. Und der ganzen Oger-Kompanie. Der Schneesturm endete. Der Schnee wurde weiß, dann schmolz er weg.
    Die Rote Göttin streckte ihre Hand aus. »Gib mir den Stab, Ned. Du brauchst ihn nicht. Die Macht liegt in dir. Das war immer so. Vorher hast du die Wahl getroffen, sie nicht zu benutzen. Du kannst diese Wahl erneut treffen.«
    Rucka sprang. Er warf ihr eigenes Herz nach der Leere - und das geschwärzte Organ wickelte sich um seinen früheren Besitzer. Rucka schlug der Leere den Stab aus der Hand, ergriff sie an der Kehle und, bevor sich die Leere von ihrer Überraschung erholen konnte, griff der Dämon in den Kopf der Leere und pflückte ihr Auge heraus. Die Leere sank zu Boden. Ihr Körper schrumpfte zu Neds Proportionen.
    Die Rote Göttin machte eine Bewegung, um Rucka davon abzuhalten, das Auge in seine leere Fassung einzufügen. Aber sein dorniger Schwanz schnitt sie in vier Teile. Rucka setzte das Auge ein und gackerte.
    »Es ist mein!«, schrie er triumphierend. »Die Macht ist mein!«
    »Nein«, sagte Ned.
    Der Dämon drehte sich zu der kleinen, sterblichen Kreatur unter ihm um. Ned sah ganz wie immer aus, bis auf die Tatsache, dass sein Auge nachgewachsen war und sein linker Arm rot blieb, mit einem Flickwerk aus schwarzen Narben.
    Rucka hob seine Hacke, um den Schmutzfleck zu zerquetschen. Er ließ den Fuß niedersausen, aber eine Berührung von Neds roter Fingerspitze warf den Dämon aus dem Gleichgewicht. Er krachte auf die Erde.
    »Aber ich habe dein Auge!«, rief Rucka.
    »Doch meine Macht befindet sich an einer anderen Stelle.« Neds linker Arm funkelte einen Moment lang. »Du hast an der falschen Stelle gesucht.« Er schloss seine Faust, als Rucka sich erheben wollte und der Dämon fiel, als wäre er mit dem Boden verbunden.
    »Du kannst mich nicht ewig festhalten!«, sagte Rucka. »Ich werde mich befreien. Selbst wenn ich dafür die Welt auseinanderreißen muss!«
    »Ich weiß.«
    »Und ich werde wiederkommen! Immer und immer wieder! So oft es sein muss!«
    »Ich weiß.«
    Und das würde er. Und jedes Mal würde er scheitern. Und jedes Mal würde Ned die Macht der Leere in Anspruch nehmen müssen, um sich zu verteidigen. Und jedes Mal würde ein kleines Stück seiner Menschlichkeit verschwinden, bis alles verschwunden war und er wieder zur Irren Leere werden würde.
    »Es gibt nur einen Weg, mich aufzuhalten! Aber du hast nicht die Kraft dazu. Weil dir all diese wertlosen Sterblichen etwas bedeuten. Und um mich zu zerstören, musst du sie alle zerstören. Sie sind deine Schwäche. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so erbärmlich wäre.« Rucka lachte trotzdem.
    Ned machte eine Geste mit seinem linken Arm, und immer noch lachend wurde Rucka angehoben und schnellte hoch in die Luft und außer Sicht.
    Ned schwebte ein Stück über dem Boden. Er wandte sich an Miriam, Regina und Frank. »Ich bin gleich zurück.« Er schoss hinter dem Dämon her.
    Die beiden rasten aus der Atmosphäre hinaus, in die