Die Kompanie der Oger
Narben, die seine Arme und sein Gesicht überzogen, vor allem die lange, scheußliche auf seiner rechten Wange bis hinunter zu einer roten um die Kehle herum, hinterließen einen weit größeren Eindruck als seine Brille. Und dann war da natürlich noch sein fehlendes Auge, sein Blumenkohlohr und sein böser Arm. All die Male eines Mannes, der schon seit langer Zeit tot sein sollte. Für einen Buchhalter hatte er einen gerade noch annehmbaren Soldaten abgegeben.
Der Greif räusperte sich und Ned betrachtete sich als entlassen. Als er sich umdrehte, sprach Tate jedoch erneut.
»Als Sie mir zugeordnet wurden, nahm ich an, Sie würden noch innerhalb derselben Woche zu meinem Abendessen werden.« Er fuhr sich mit einer schwarzen Zunge über den Schnabel. »Stattdessen sind Sie zu einem der vertrauenswürdigsten Mitglieder meiner Belegschaft geworden.«
»Danke, Sir.«
»Ein Jammer, dass Sie nicht länger unter uns weilen werden.«
Ned starrte sprachlos in diese unbarmherzigen Augen. Tates graue und schwarze Federn sträubten sich und er lächelte spöttisch.
»Ich habe es erst heute erfahren. Sie werden versetzt.«
»Versetzt, Sir?«
Tate nickte sehr langsam. Mit einer Kralle glättete er seine Federn. »Ich habe versucht, ihnen das auszureden, aber es kommt direkt von ganz oben. Oberes oberes oberes Management.« Er durchwühlte sein Nest aus Papierkram und zog eine blaue Schriftrolle hervor.
Ned fluchte tonlos. Blaue Schriftrollen waren unabänderlich, unaufhaltsam. So unvermeidlich wie der Tod, oder, in Neds Fall, sogar unvermeidlicher als der Tod. Tate reichte ihm die blaue Rolle, aber Ned weigerte sich noch, sie zu öffnen und einen Blick auf seine neuen Befehle zu werfen.
Tate neigte den Kopf erst zur einen Seite, dann zur anderen. Sein Löwenschwanz schwang träge hin und her. Er räusperte sich noch einmal und begann erneut zu sprechen, bevor Ned entkommen konnte.
»Es ist eine Beförderung. Sie haben sie verdient.«
Ned ließ seinen Kiefer sanft fallen, wie er es oft tat, wenn er gereizt war. »Danke, Sir.«
»Glückwunsch. Das obere Management muss Ihnen sehr vertrauen.«
»Danke, Sir.«
Er hielt die blaue Schriftrolle fest in seiner rechten Hand, während sein böser linker Arm versuchte, sie herauszuzerren. Bei einem seiner unerfreulicheren Ableben war ihm der linke Arm abgetrennt worden. Der Arm war ohne ihn ins Leben zurückgekehrt, und obwohl ein Arzt ihn wieder angenäht hatte, hatte er immer noch einen eigenen Willen, mit widerwärtigen Tendenzen in angespannten Situationen. Wenn sich ihm die Möglichkeit böte, würde der Arm die Schriftrolle nach Tate werfen, das wusste er. Und das würde dazu führen, dass Ned doch noch gefressen wurde.
Er wandte sich abermals zum Gehen. Tate räusperte sich und Ned stoppte.
»Sir?«
»Sie können gehen. Schicken Sie mir Yip. Sehr schlampige Arbeit in letzter Zeit. Ich schätze, da ist eine disziplinarische Maßnahme fällig.« Grinsend ließ Tate seinen Schnabel zuschnappen. »Und sagen Sie ihm, er soll bei der Essensausgabe vorbeigehen und etwas Brot, Käse, eine Flasche Wein und Salat mitbringen. Etwas Pikantes, aber nicht zu sättigend.«
Ned verließ das Büro und fühlte sich wie ein Verurteilter. Eine blaue Schriftrolle sollte etwas Gutes sein. Es bedeutete, dass das obere Management auf ihn aufmerksam geworden war. Aber das war, wie den Göttern in den Himmeln aufzufallen. Zumeist bedeutete es eine einfache Fahrkarte in ein tragisches Schicksal. Bisher war es ihm doch so gut gelungen, nicht allzu außergewöhnlich zu wirken. Bis auf die Tatsache, dass er nicht tot blieb, aber dafür konnte er schließlich nichts.
Seine Buchhalterkollegen vermieden es, ihn anzusehen, als er durch die Flure ging. Und alle wandten den Blick von der blauen Schriftrolle ab, die seine Hand umklammerte. Gerüchten zufolge waren blaue Schriftrollen verzaubert und machten alle blind, außer dem Leser, für den sie bestimmt waren. Das war allerdings reine Spekulation, weil fast niemand je tatsächlich eine blaue Schriftrolle gesehen hatte. Aber keiner war bereit, das Risiko einzugehen, es darauf ankommen zu lassen.
Ned kehrte in sein Büro zurück, einen kleinen Raum, den er mit zwei anderen teilte: mit Yip, einem Ratling, und mit Bog, dem Schleimpilz. Yip zählte einen Stapel Goldmünzen. Von Zeit zu Zeit steckte er eine in seine Tasche. Ned und Bog taten jedes Mal so, als würden sie es nicht bemerken. Keiner von beiden mochte den Ratling, und sie rieten ihm nicht
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