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Die Komplizin - Roman

Die Komplizin - Roman

Titel: Die Komplizin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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verborgen. Ich kehrte ins Wohnzimmer
zurück. Mittlerweile erschien er mir massiger als vorher und irgendwie noch lebloser. Wie schnell wird eine Leiche kalt? Wie schnell beginnt das Blut zu gerinnen? Wenn ich ihn jetzt noch einmal berührte, würde er sich dann schon hart anfühlen  – wie eine Leiche, und nicht mehr wie ein Mann? Aus dem Augenwinkel sah ich ihn die Hand bewegen, zumindest kam es mir so vor. Ich musste eine ganze Weile auf seine Finger starren, um mich davon zu überzeugen, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war.
    Plötzlich spürte ich etwas unter meinen Füßen und stellte fest, dass es sich um die Hochzeitseinladung handelte. Ich hob sie auf, faltete sie zweimal und schob sie zusammen mit der Zahnbürste, die ich immer noch in der Hand hielt, in meine Jeanstasche.

Davor
    »Prost!« Ich hob mein Glas, das mit kaltem Weißwein gefüllt war, und stieß mit ihnen an. »Auf die Ferien!«
    »Liza und ich haben keine Ferien«, rief mir Danielle ins Gedächtnis, »nur ihr Lehrer bekommt sechs ganze Wochen.«
    »Nur wir Lehrer verdienen sechs ganze Wochen. Dann eben auf den Sommer!«
    Ich nahm einen Schluck und lehnte mich genüsslich zurück. Obwohl schon Abend war, fühlte sich die Luft noch weich und warm an. Ich brauchte den Sommer  – das späte Aufstehen, die heißen, lichterfüllten Tage. Endlich einmal keine Klassen voller Teenager, die mit ihren Geigen und Blockflöten zaghaftes Gekratze und schrille Pfeiftöne erzeugten. Kein Lehrerzimmer, in dem nicht mehr geraucht werden durfte, so dass wir stattdessen zu viele Tassen Kaffee tranken. Keine Abende, an denen ich Hausarbeiten zu korrigieren hatte und krampfhaft versuchte, mein Leben in den Griff zu bekommen,
indem ich mir eine Arbeit nach der anderen vornahm, eine beunruhigende Rechnung nach der anderen.
    »Was wirst du bloß mit der ganzen freien Zeit anfangen?«
    »Schlafen. Fernsehen. Schokolade mampfen. Fit werden. Schwimmen. Mich mit alten Freundinnen treffen. Und endlich meine Wohnung renovieren.«
    Ein paar Monate zuvor war ich aus einer Zweizimmerwohnung, in der ich mich sehr wohlgefühlt hatte, in eines von den kleineren, dunkleren und schäbigeren Einzimmerapartments umgezogen, die Camden Town zu bieten hatte  – eine Bruchbude mit dünnen Wänden, abblätternden Fensterrahmen, einem undichten Kühlschrank und einem Heizkörper, der ständig zischte und nur warm wurde, wenn ihm danach war. Ich hatte mir vorgenommen, meine neue Behausung eigenhändig herzurichten. Mir spukten romantische Vorstellungen durch den Kopf; vor meinem geistigen Auge sah ich mich schöne Möbelstücke aus Müllcontainern retten oder mit einem Pinsel und frischer Wandfarbe wahre Wunder vollbringen. Trotzdem war selbst mir klar, dass ich erst einmal etliche Schichten alter Farbe und Tapete wegschaben und den gemusterten Teppich herausreißen musste. Außerdem galt es, überarbeitete Freunde dazu zu bringen, einen Blick auf die Elektrik und den verdächtigen, immer größer werdenden braunen Fleck an der Decke zu werfen.
    »Deswegen bleibe ich dieses Jahr zu Hause.« An Danielle gewandt, fügte ich hinzu: »Ich nehme an, ihr verreist nach der Hochzeit?«
    »Flitterwochen in Italien«, antwortete sie mit einem kleinen, triumphierenden Lächeln. Ihre Worte versetzten mir einen leichten Stich. Offenbar bildete Danielle sich ein, Liza und mir durch ihre bevorstehende Heirat moralisch irgendwie überlegen zu sein. Wir hatten zusammen die Uni besucht und zu der großen Studentengemeinschaft gehört, die geprägt war von Chaos, Herzschmerz und Erwachsenwerden. Nun
aber tat Danielle so, als hätte sie uns in einem Rennen überholt, von dem wir zwei anderen gar nicht gewusst hatten, dass wir daran teilnahmen. Woraus sie wohl das Recht ableitete, mit einer Mischung aus Arroganz und Mitleid auf uns herabzublicken: auf Liza, die trinkfreudige Partymaus mit der heiseren Stimme, und mich, die flachbrüstige Lehrerin mit dem blondierten Haar und dem langen Register unglücklicher Beziehungen. Mittlerweile unterschied sie sich schon rein optisch von uns: Ihr aschblondes Haar war fachmännisch gestuft und gestylt, ihre Fingernägel schimmerten perlmuttrosa, wodurch ihr Diamantring noch besser zur Geltung kam. Sie trug einen leichten Sommerrock, in dem sie hübsch und harmlos aussah, als versuchte sie bewusst, ihre sexuelle Ausstrahlung abzuschwächen und wie eine süße, bei jeder Gelegenheit errötende Braut zu wirken. Ich rechnete halb damit, dass sie meine Hand

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