Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan
dann habe er gesagt, daß meine zur Absicht umgewandelten Gefühle meinen Montagepunkt bewegt hätten.
»Nur die Zauberer können ihre Gefühle in Absicht umwandeln«, sagte Don Juan. »Die Absicht aber ist der Geist. Darum ist es der Geist, der den Montagepunkt bewegt.
Man kann nicht sagen«, fuhr er fort, »daß nur die Zauberer vom Geist wüßten, daß nur die Zauberer sich im Reich der Absicht bewegten. Das Gegenteil ist nämlich der Fall. Nur sind sich die Zauberer ihrer Verbindung zum Geist stärker bewußt als die Durchschnittsmenschen. Und sie bemühen sich, diese Verbindung zu manipulieren. Aber das Bindeglied zur Absicht ist, wie ich dir sagte, ein allem Lebendigen gemeinsames Merkmal.«
Anscheinend wollte Don Juan noch etwas hinzufügen. Aber es fiel ihm schwer, die richtigen Worte zu finden. Schließlich sagte er, daß die Wahrnehmung von zwei Orten gleichzeitig für die Zauberer ein Meilenstein sei. Sie kennzeichne nämlich den Augenblick, da der Montagepunkt den Platz des stillen Wissens erreiche. Die doppelte Wahrnehmung, falls aus eigener Kraft gelungen, werde als freie Bewegung des Montagepunkts bezeichnet.
Darum, sagte er, sei jeder Nagual bemüht, bei seinen Lehrlingen die freie Bewegung des Montagepunkts zu fördern. Eine solche umfassende Bemühung werde geheimnisvollerweise als »Greifen nach dem dritten Punkt« bezeichnet.
»Das Greifen nach dem dritten Punkt«, fuhr er fort, »ist die wichtigste Aufgabe eines Zauberers, und der schwierigste Teil seines Wissens. Dabei beabsichtigt der Nagual die freie Bewegung. Und der Geist gibt ihm die Mittel, sie zu vollbringen. Bevor du kamst, hatte ich so etwas nie beabsichtigt. Darum konnte ich nicht würdigen, welch ungeheure Anstrengung es meinen Wohltäter kosten mußte, diese freie Bewegung für mich zu beabsichtigen.
Denn es fällt einem Nagual schwer, diese freie Bewegung für seine Schüler zu beabsichtigen«, sagte Don Juan. »Aber noch schwerer begreifen seine Schüler, was der Nagual tut. Bedenke nur, wie du dich anstrengst. Mir ist es genauso ergangen. Meistens glaubte ich, die Täuschungstricks des Geistes wären nichts anderes als schlimme Tricks des Nagual Julian.
Aber später erkannte ich, daß ich ihm mein Leben und mein Wohlergehen verdankte«, fuhr Don Juan fort. »Und heute weiß ich, daß ich ihm unendlich viel mehr verdanke. Ich kann nicht aussprechen, was ich ihm wirklich schulde. Darum laß mich nur sagen: Er hat mich angeleitet, den dritten Bezugspunkt zu finden.
Der dritte Bezugspunkt ist die befreite Wahrnehmung. Er ist die Absicht, er ist der Geist. Der Salto des Denkens in das Wunderbare. Das Ausgreifen über unsere Grenzen, und das Erfassen des Unvorstellbaren.«
Die beiden Einbahn-Brücken
Frühmorgens saßen Don Juan und ich am Tisch in seiner Küche. Wir waren gerade zurückgekehrt aus den Bergen, wo wir die Nacht verbrachten, nachdem ich mich auf mein Erlebnis mit dem Jaguar besonnen hatte. Die Besinnung auf meine doppelte Wahrnehmung hatte mich in eine Euphorie versetzt, die Don Juan wie üblich nutzte, um mich in neue Erfahrungen zu stürzen. An diese neuen Erfahrungen konnte ich mich jetzt nicht mehr erinnern - aber meine Euphorie war geblieben.
»Die Möglichkeit, an zwei Orten gleichzeitig zu sein, ist eine aufregende Entdeckung für unseren Verstand«, sagte er. »Unser Verstand, das ist unsere Rationalität. Und unsere Rationalität ist unser Selbstbild. Darum erscheint uns alles, was über unser Selbstbild hinausweist, als anziehend oder abstoßend - je nachdem was für eine Persönlichkeit wir sind.«
Er schaute mich lächelnd an, als habe er eine neue Einsicht gehabt. »Oder anziehend und abstoßend zugleich, wie es bei uns beiden offenbar der Fall ist.«
Mir sei es egal, sagte ich, ob ich mich durch diese neuen Erfahrungen angezogen oder abgestoßen fühlte. Vielmehr schauderte ich vor der ungeheuren Möglichkeit einer doppelten Wahrnehmung.
»Ich will nicht abstreiten, daß ich an zwei Orten gleichzeitig gewesen bin«, sagte ich. »Ich kann mein Erlebnis nicht leugnen. Aber es erschreckt mich so sehr, daß mein Verstand sich weigert, es zu akzeptieren.«
»Wir beide gehören zu jenem Menschentyp, der anfangs fasziniert ist von diesen Dingen - und sie dann bald vergißt«, sagte er lachend. »Wir beide sind uns sehr ähnlich.«
Jetzt hatte ich einmal Grund zu lachen. Ich wußte, er machte sich lustig über mich. Dennoch wirkte er so treuherzig, daß ich ihm gerne geglaubt hätte.
Ich beteuerte,
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