Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan
ich sei wohl der einzige unter seinen Lehrlingen, der gelernt habe, ihn nicht beim Wort zu nehmen, wenn er eine Ähnlichkeit zwischen sich selbst und uns feststellte. Oft genug hatte ich miterlebt, wie er zu dem einen oder anderen seiner Lehrlinge ganz aufrichtig sagte: »Wir beide sind solche Narren. Wir beide sind uns so ähnlich!« Ich war immer wieder entsetzt, wenn ich sah, daß sie ihm aufs Wort glaubten.
»Du bist keinem von uns ähnlich, Don Juan«, sagte ich. »Du bist ein Spiegel, der nicht unser Bild zurückwirft. Du bist unerreichbar für uns.«
»Was du vor dir siehst, ist das Ergebnis eines lebenslangen Kampfes«, sagte er. »Was du siehst, ist ein Zauberer, der endlich gelernt hat, sich den Plänen des Geistes zu fügen. Mehr ist es nicht. Ich habe dir immer wieder die verschiedenen Phasen geschildert, die ein Krieger auf dem Pfad des Wissens durchlaufen muß«, fuhr er fort. »Was sein Bindeglied zur Absicht betrifft, so geht ein Krieger durch vier Phasen. In der ersten ist er ein rostiges und unzuverlässiges Bindeglied zur Absicht. In der zweiten gelingt es ihm, dieses Bindeglied zu läutern. In der dritten hat er gelernt, es zu manipulieren. Und in der vierten hat er gelernt, die Pläne des Abstrakten zu akzeptieren.«
Don Juan behauptete, daß seine Vollkommenheit ihn nicht verändert habe. Sie habe ihn nur einfallsreicher werden lassen. Darum sei es kein Scherz, wenn er mir oder seinen anderen Lehrlingen beteuerte, wie ähnlich wir uns doch wären.
»Ich verstehe ganz gut, was du durchmachen mußt«, sagte er. »Wenn ich über dich lache, dann lache ich über die Erinnerung an mich selbst - als ich in deinen Schuhen steckte. Auch ich klammerte mich mit Klauen und Zähnen an diese Alltagswelt. Alles befahl mir, sie endlich loszulassen. Aber ich konnte nicht. Genau wie du, verließ ich mich auf meinen Verstand - und dazu hatte ich keinen Grund. Ich war kein Durchschnittsmensch mehr.
Mein Problem damals - es war das gleiche wie dein Problem heute. Ich gehorchte der Logik des Alltags, und ich handelte wie ein Durchschnittsmensch. Ich klammerte mich an meine fadenscheinigen Strukturen der Vernunft. Du machst es ganz ähnlich.« »Nein! Ich klammere mich nicht an irgendwelche Strukturen. Sie klammem sich an mich!« rief ich, worauf Don Juan herzlich lachte.
Ich verstünde ihn vollkommen, beteuerte ich. Und doch sei ich unfähig, mich zu verhalten, wie ein Zauberer sich verhalten sollte.
Don Juan erklärte mir, daß ich mit der Welt der Zauberer noch nicht vertraut sei. Und dies sei mein Nachteil. Denn in dieser Welt müsse ich jederzeit neue Beziehungen mit allem und jedem eingehen. Dies sei um so schwerer, als es nichts mit der Kontinuität meines Alltagslebens zu tun habe.
In dieser Hinsicht, sagte er, stünden die Zauberer vor einem zweifachen Problem. Erstens könnten sie ihre zerbrochene alte Kontinuität nicht wiederherstellen. Zweitens könnten sie auch ihre neue - durch die neue Position ihres Montagepunkts vorgeschriebene - Kontinuität nicht nutzen. Diese neue Kontinuität sei immer allzu gefährdet, allzu labil. Sie biete den Zauberern nicht die Sicherheit, die sie benötigten, um in der Alltagswelt zu funktionieren.
»Wie lösen die Zauberer dieses Problem?« fragte ich.
»Keiner von uns hat es bislang gelöst. Der Geist hat es gelöst«, antwortete er. »Der Geist löst es für uns. Oder der Geist löst es nicht. Wenn der Geist das Problem für den Zauberer löst, stellt der fest, daß er in der Welt der Zauberer tätig ist, ohne zu wissen wie. Darum sagte ich dir, seit wir uns kennen, daß es einzig und allein auf die Makellosigkeit ankommt. Der Zauberer lebt sein makelloses Leben, und diese Tatsache allein scheint eine Lösung herbeizuführen. Warum? Niemand weiß es.«
Don Juan schwieg lange. Und dann antwortete er plötzlich auf einen Gedanken von mir, ganz so, als hätte ich ihn ausgesprochen. Ich hatte eben daran gedacht, daß das Wort »Makellosigkeit« mich immer an religiöse Moralvorstellungen erinnerte.
»Makellosigkeit hat nichts mit Moral zu tun«, sagte er. »Sie ähnelt nur ungefähr der Moral. Makellosigkeit ist die beste Art, unsere Energie zu nutzen. Gewiß verlangt sie von uns Genügsamkeit, Behutsamkeit, Schlichtheit und Arglosigkeit. Vor allem verbietet sie uns die Selbstbetrachtung. Dies alles klingt, als sei Makellosigkeit eine Regel für das Klosterleben. Aber das ist sie nicht.
Die Zauberer sagen, daß wir Energie benötigen, um den Geist zu
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