Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan
vielleicht würden wir einige Tage in den Bergen bleiben.
»Nun wollen wir über den dritten abstrakten Kern sprechen«, sagte Don Juan. »Man nennt ihn auch die Täuschungen des Geistes, das Sich-selbst-An pirschen oder das Läutern des Bindeglieds.«
Ich war erstaunt über die Vielfalt der Namen, sagte aber nichts. Ich wartete, bis er seine Erklärung fortsetzte. »Und wieder, genau wie beim ersten und zweiten Kern«, fuhr er fort, »könnte dies eine Geschichte für sich sein. Die Geschichte erzählt, wie der Geist, nachdem er an die Tür jenes Mannes, über den wir sprachen, angeklopft und bei ihm keinen Erfolg gehabt hatte, das einzig noch mögliche Mittel einsetzte: Täuschungstricks. Immerhin, der Geist hatte auch früher schon ausweglose Situationen mit Hilfe von Tricks überwunden. Es war klar, daß er, wenn er bei diesem Mann etwas erreichen wollte, ihn überreden mußte. Darum begann der Geist, den Mann in den Geheimnissen der Zauberei zu unterweisen. Und die Zauberlehre wurde das, was sie ist: ein Weg der Listen und Schliche. Die Geschichte erzählt, wie der Geist den Mann überredete, indem er ihn zwischen den Bewußtseinsebenen hin und herwechseln ließ, um ihm zu zeigen, wie er die Energie sparen konnte, die er brauchte, um sein Bindeglied zu stärken.«
Wollten wir diese Geschichte in eine heutige Situation versetzen, so sagte Don Juan, dann sähen wir den Fall des Naguals, dieses lebendigen Mittlers des Geistes, wie er die Struktur dieses abstrakten Kerns wiederholt, wie er auf Listen und Schliche zurückgreift, um andere zu unterweisen.
Er stand plötzlich auf und machte sich auf den Weg in die Berge. Ich folgte ihm, und wir begannen Seite an Seite den Aufstieg. Am Spätnachmittag erreichten wir den Gipfel eines hohen Berges. Selbst in dieser Höhe war es noch immer sehr warm. Den ganzen Tag waren wir einem kaum erkennbaren Pfad gefolgt. Endlich erreichten wir eine kleine Lichtung, einen alten Aussichtspunkt, der das Land nach Norden und Westen überblickte.
Dort setzten wir uns, und Don Juan nahm unser Gespräch über die Geschichten der Zauberei wieder auf. Er sagte, jetzt kenne ich die Geschichte, wie die Absicht sich dem Nagual Elias offenbarte, und die Geschichte, wie der Geist an die Tür des Nagual Julian klopfte. Und ich wisse auch, wie er selbst dem Geist begegnet war, und sicherlich würde ich nicht vergessen, wie ich ihm begegnet war. Alle diese Geschichten, erklärte er, hätten dieselbe Struktur; nur die handelnden Personen unterschieden sich. Jede Geschichte sei eine abstrakte Tragikomödie mit einem abstrakten Darsteller, der Absicht, und zwei menschlichen Darstellern, dem Nagual und seinem Lehrling. Das Drehbuch sei der abstrakte Kern.
Ich glaubte endlich verstanden zu haben, was er meinte, aber ich konnte mir selbst nicht recht erklären, was ich verstanden hatte, noch konnte ich es Don Juan erklären. Als ich versuchte meine Gedanken in Worte zu fassen, brachte ich nur ein Stammeln heraus.
Don Juan schien meine seelische Verfassung zu erkennen. Er schlug vor, ich solle mich entspannen und zuhören. Seine nächste Geschichte, sagte er, handele davon, wie der Lehrling in die Sphäre des Geistes geführt werde - ein Prozeß, den die Zauberer als Illusionstricks des Geistes bezeichnen oder als Läutern des Bindeglieds zur Absicht.
»Ich habe dir bereits die Geschichte erzählt, wie der Nagual Julian mich, nachdem ich angeschossen worden war, in sein Haus brachte und meine Wunde pflegte, bis ich mich erholt hatte«, fuhr Don Juan fort. »Aber ich habe dir nicht erzählt, wie er mein Bindeglied läuterte, wie er mich lehrte, mich selbst anzupirschen.
Das erste, was ein Nagual mit seinem künftigen Lehrling tut, ist, ihn durch einen Trick zu täuschen. Das heißt, er versetzt seinem Bindeglied zum Geist einen Stoß. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine läuft über halbwegs normale Bahnen, wie ich es bei dir machte; die andere geschieht durch Mittel regelrechter Zauberei, wie mein Wohltäter sie bei mir einsetzte.«
Wieder erzählte Don Juan mir die Geschichte, wie sein Wohltäter die Leute, die an der Straße zusammengelaufen waren, davon überzeugte, daß der Verwundete sein Sohn wäre. Dann bezahlte er ein paar Leute dafür, daß sie Don Juan, noch immer bewußtlos vom Schock und vom Blutverlust, zu seinem Haus trugen. Dort erwachte Don Juan nach Tagen und sah sich einem freundlichen alten Mann und seiner dicken Frau gegenüber, die seine Wunde pflegten.
Der alte
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