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Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Titel: Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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verrückt war und nichts mit der Frau zu tun hatte. Mit seinem letzten Rest von Bewußtsein richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Gemurmel des Mannes. Was er sagte, war, daß die Macht des Menschen unermeßlich sei, daß der Tod nur existiere, weil wir ihn vom Augenblick unserer Geburt beabsichtigten, daß die Absicht des Todes aufgeschoben werden könne, indem wir den Montagepunkt veranlaßten, seine Lage zu ändern.
    Jetzt wußte er, daß der Indianer total verrückt sein mußte. Seine Situation - sterbend und in den Händen eines verrückten Indianers, der Ungereimtes murmelte - war so theatralisch, daß er sich schwor, ein Schmierenkomödiant bis zum bitteren Ende zu bleiben; und er gelobte sich, weder an dem Blutsturz noch von den Schlägen zu sterben - sondern vor Lachen zu sterben. Und er lachte, bis er tot war.
    Natürlich konnte sein Wohltäter, sagte Don Juan, den Indianer unmöglich ernst nehmen. Niemand konnte solch einen Menschen ernst nehmen - vor allem nicht ein zukünftiger Lehrling, von dem nicht zu erwarten war, daß er sich freiwillig zum Werk der Zauberei dränge.
    Don Juan sagte, er habe mir schon öfter erklärt, was dieses Werk der Zauberei sei. Und darum könne er mir jetzt sagen, daß das Werk der Zauberei - aus der Sicht des Geistes - darin bestünde, unsere Verbindung zu diesem zu klären. Das Bauwerk, das die Absicht vor uns errichte, sei also eigentlich ein Klärwerk, in welchem wir weniger die Methoden vorfänden, um unser Bindeglied zu klären, als vielmehr das stille Wissen, das den Prozeß der Klärung ermögliche. Ohne dieses stille Wissen könne ein solcher Prozeß nicht stattfinden, und wir hätten lediglich das unbestimmte Gefühl, daß uns etwas fehlte.
    Die von den Zauberern aufgrund ihres stillen Wissens ausgelösten Ereignisse, erklärte er, wären so einfach und doch so abstrakt, daß die Zauberer sich vor langer Zeit entschlossen hätten, nur in symbolischen Begriffen von diesen Ereignissen zu sprechen. Beispiele dafür wären die Offenbarungen und das Anklopfen des Geistes. Wollte man zum Beispiel beschreiben, so sagte er, was bei der ersten Begegnung zwischen einem Nagual und einem zukünftigen Lehrling stattfindet und dies aus der Sicht des Zauberers beschreiben, so wäre es absolut unverständlich. Man könne doch nicht behaupten, daß der Nagual aufgrund seiner lebenslangen Erfahrung irgend etwas Unvorstellbares - nämlich seine zweite Aufmerksamkeit, das heißt seine durch die Zauberlehre erworbene gesteigerte Bewußtheit - auf seine unsichtbare Verbindung mit irgendeinem undefinierbaren Abstraktum richte. Nichts anderes täte er, um die unsichtbare Verbindung eines anderen Menschen mit diesem undefinierbaren Abstraktum zu klären und zu stärken.
    Wir beide seien durch angeborene, für jeden Menschen typische Schranken vom stillen Wissen ausgeschlossen. In meinem Fall sei dies die Neigung, meine Selbstgefälligkeit als Unabhängigkeit zu tarnen.
    Ich bat ihn, mir ein konkretes Beispiel zu nennen. Er selbst habe mich einmal ermahnt, so sagte ich, daß es ein beliebter rhetorischer Trick sei, eine allgemeine Kritik zu äußern, die sich durch keine konkreten Beispiele belegen lasse.
    Don Juan schaute mich strahlend an.
    »Früher als ich dir Kraftpflanzen gab«, sagte er, »warst du felsenfest davon überzeugt, daß du nichts anderes erlebtest als Halluzinationen. Dann wolltest du dir einreden, daß es besondere Halluzinationen wären. Ich erinnere mich noch, wie ich dich auslachte, weil du beharrlich von didaktischen halluzinatorischen Erfahrungen sprachst.«
    Mein Bedürfnis, mir meine illusorische Unabhängigkeit zu beweisen, so sagte er, habe mich zu einem Standpunkt gezwungen, wo ich nicht akzeptieren konnte, daß alles, was er mir sagte, tatsächlich so geschähe; obwohl ich insgeheim wußte, daß es so war. Ich wußte, daß er Kraftpflanzen - trotz ihrer beschränkten Wirkung - einsetzte, um mich teilweise oder zeitweilig in einen Zustand gesteigerter Bewußtheit zu versetzen, was dadurch gelang, daß sie meinen Montagepunkt aus seiner gewohnten Lage stießen.
    »Du hast die Schranke deiner Unabhängigkeit benutzt, um dich über diese Hemmung hinwegzusetzen«, fuhr er fort. »Dieselbe Schranke funktioniert noch heute, und darum hast du noch immer jenes Gefühl unbestimmter Angst, wenn auch nicht mehr so stark. Wie aber willst du deine Einsichten umdeuten, damit deine gegenwärtigen Erfahrungen in dein Schema der Selbstgefälligkeit passen?«
    Ich mußte

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