Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan
unheilbar an Tuberkulose - der gefürchteten Geißel jener Tage. Aber seine Krankheit mäßigte ihn nicht, sondern sie versetzte ihn in eine fiebrige Euphorie, die ihn nur noch sinnlicher machte. Weil er keine Selbstbeherrschung kannte, überließ er sich vollends der Ausschweifung; und seine Gesundheit verschlechterte sich, bis es keine Hoffnung mehr gab.
Ein Unglück kommt selten allein - dieses Sprichwort galt damals gewiß für Don Juans Wohltäter. Während seine Gesundheit verfiel, starb seine Mutter, die seine einzige Unterhaltsquelle und sein einziger mäßigender Einfluß gewesen war. Sie hinterließ ihm eine ansehnliche Erbschaft, die ihn ein Leben lang ausreichend versorgt hätte. Aber undiszipliniert, wie er war, hatte er binnen weniger Monate jeden Peso ausgegeben. Ohne einen Beruf oder ein Handwerk, das ihn ernährt hätte, mußte er sich seinen Lebensunterhalt zusammenschnorren.
Ohne Geld hatte er keine Freunde mehr; und auch die Frauen, die ihn geliebt hatten, wandten sich von ihm ab. Zum erstenmal im Leben sah er sich mit der harten Wirklichkeit konfrontiert. In Anbetracht seiner schlechten Gesundheit hätte es das Ende bedeuten müssen; aber er war widerstandsfähig. Er beschloß, für seinen Unterhalt zu arbeiten.
Seine sinnliche Ader ließ sich jedoch nicht unterdrücken und zwang ihn, Arbeit zu suchen an dem einzigen Ort, wo er sich wohl fühlte - am Theater. Seine Qualifikation für diesen Beruf bestand darin, daß er der geborene Komödiant war und den größten Teil seines Lebens in der Gesellschaft schöner Schauspielerinnen verbracht hatte. Er ging mit einer Theatergruppe in die Provinz, weit fort vom vertrauten Kreis seiner Freunde und Bekannten, und wurde ein sehr überzeugender Schauspieler - der schwindsüchtige Held in religiösen Mysterienspielen und Moritaten.
Don Juan schüttelte den Kopf über die seltsame Ironie, die seines Wohltäters Leben stets gekennzeichnet habe. Hier war er, der verworfene Wüstling, todkrank infolge seines ausschweifenden Lebens, und spielte die Rollen von Heiligen und Märtyrern. Er spielte sogar den Jesus in einem Passionsspiel während der Karwoche. Seine Gesundheit überstand eine Theater-Tournee durch die nördlichen Staaten Mexikos. Dann, in der Stadt Durango, geschah zweierlei: Sein Leben endete, und der Geist klopfte an seine Tür.
Beides, sein Tod und das Anklopfen des Geistes, geschah zur selben Zeit - am hellen Tag, im Gebüsch. Sein Tod überraschte ihn bei der Verführung einer jungen Frau. Er war bereits sehr geschwächt, und an diesem Tag überanstrengte er sich. Die junge Frau - sie war lebhaft, energisch und in heftiger Leidenschaft entbrannt - hatte ihm versprochen, mit ihm zu schlafen, und ihn verlockt, an einen einsamen Ort zu kommen, meilenweit in der Einöde. Dort hatte sie ihn stundenlang abgewehrt. Als sie sich endlich hingab, war er völlig erschöpft und hustete so schlimm, daß er kaum atmen konnte.
Bei seinem letzten Ansturm von Leidenschaft spürte er einen brennenden Schmerz in der Schulter. Es fühlte sich an, als würde sein Brustkorb zerrissen, und ein schrecklicher Hustenanfall würgte seine Kehle. Doch er war so besessen von sinnlichem Verlangen, daß er nicht aufgab, bis der Tod in Form eines Blutsturzes kam. Und jetzt betrat der Geist die Bühne, verkörpert durch einen Indianer, der dem Mann zu Hilfe eilte. Schon vorher hatte er den Indianer bemerkt, der den beiden folgte, aber er hatte nicht auf ihn geachtet, so hingegeben war er ans Werk der Verführung. Wie im Traum sah er das Mädchen. Sie hatte keine Angst, und sie verlor nicht die Fassung. Ruhig und sachlich zog sie sich wieder an und lief fort - rasch wie ein von Hunden gehetzter Hase.
Er sah auch den Indianer, der herbeilief und ihn aufzurichten versuchte. Er hörte ihn idiotische Sachen sagen. Er hörte, wie er sich dem Geist verschrieb und unverständliche Worte in einer fremden Sprache murmelte. Dann handelte der Indianer sehr schnell. Hinter ihm stehend, gab er ihm einen klatschenden Schlag auf den Rücken.
Ganz vernünftig schloß der Sterbende, daß der Indianer entweder versuchte, das Blutgerinnsel zu lösen oder aber ihn zu töten. Während der Indianer ihn immer wieder auf den Rücken schlug, kam der sterbende Mann zu der Überzeugung, daß der Indianer der Gatte oder Geliebte jener Frau sein müsse und ihn ermorden wolle. Doch als er die intensiv leuchtenden Augen dieses Indianers sah, besann er sich anders. Er wußte, daß der Indianer einfach
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