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Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Titel: Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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habe gesehen, daß der junge Schauspieler verwöhnt und eitel war, daß er aber nur scheinbar so hart und abgebrüht war. Der Nagual wußte, er brauchte nur auf Vorstellungen wie Gott, Sünde und Vergeltung anzuspielen, und schon würden die religiösen Überzeugungen des Schauspielers seine zynische Haltung hinwegfegen.
    Als der junge Schauspieler von der Strafe Gottes erfuhr, brach seine Fassade zusammen. Er begann von Reue zu sprechen, aber der Nagual fiel ihm ins Wort und erklärte mit Nachdruck, daß Schuldgefühle nichts mehr bedeuteten, wenn der Tod so nah war.
    Der junge Schauspieler lauschte aufmerksam, aber obwohl es ihm schlecht ging, glaubte er nicht, daß er in Todesgefahr schwebte. Er dachte, seine Schwäche und Ohnmacht wären nur auf den Blutverlust zurückzuführen. Der Nagual, als hätte er die Gedanken des jungen Schauspielers gelesen, erklärte ihm, daß solche optimistischen Gedanken fehl am Platz seien; sein Blutsturz wäre tödlich gewesen ohne den Pfropfen, den er als Heiler bewirkt habe. »Als ich dir einen Schlag auf den Rücken versetzte, da fügte ich dir einen Pfropfen ein, um das Versickern deiner Lebenskraft anzuhalten«, sagte der Nagual zu dem skeptischen jungen Schauspieler.
    »Ohne dieses Hemmnis würde der unvermeidliche Prozeß deines Sterbens weitergehen. Falls du mir nicht glaubst, werde ich es dir beweisen, indem ich den Pfropfen mit einem Schlag entferne.« Noch während er sprach, schlug der Nagual Elias den jungen Schauspieler leicht auf den unteren Rippenbogen. Im nächsten Augenblick fing der junge Mann an zu keuchen und zu würgen. Blut schoß ihm aus dem Mund, während er unbeherrscht hustete. Ein erneuter Schlag auf den Rücken beendete den quälenden Schmerz und das Würgen. Doch es beendete nicht seine Furcht, und er wurde ohnmächtig.
    »Ich kann im Augenblick deinen Tod kontrollieren«, sagte der Nagual, als der junge Schauspieler wieder zu Bewußtsein gelangt war. »Wie lange ich ihn kontrollieren kann, hängt von dir selbst ab. Es hängt davon ab, wie getreulich du alles befolgst, was ich dir befehlen werde.«
    Als erstes verlangte der Nagual von dem jungen Mann absolute Reglosigkeit und Schweigen. Wenn er nicht wollte, daß der Pfropfen sich löse, fügte der Nagual hinzu, mußte er sich verhalten, als habe er die Sprache und die Fähigkeit verloren, sich zu bewegen. Ein einziges Wort, ein Zucken mit dem Finger, konnten genügen, um sein Sterben wieder beginnen zu lassen.
    Der junge Schauspieler war es nicht gewöhnt, Ratschläge oder Befehle zu befolgen. Er fühlte Zorn in sich aufsteigen. Als er seinen Protest äußern wollte, setzte wieder ein stechender Schmerz ein, begleitet von Krämpfen.
    »Befolge meinen Rat, und ich werde dich heilen«, sagte der Nagual. »Oder handele als der schwache, verkommene Idiot, der du bist, und du wirst sterben.«
    Der Schauspieler, ein stolzer junger Mann, war wie betäubt von dieser Kränkung. Niemals hatte jemand gewagt, ihn einen schwachen, verkommenen Idioten zu nennen. Wütend wollte er aufbrausen, aber der Schmerz wurde so stark, daß er nicht auf die Kränkung reagieren konnte.
    »Wenn du willst, daß ich deine Schmerzen lindere, mußt du mir blind gehorchen«, sagte der Nagual mit beängstigender Kälte. »Aber dies sollst du wissen: Im selben Moment, da du es dir anders überlegst und dich benimmst wie der erbärmliche Schwachkopf, der du bist, werde ich den Pfropfen herausziehen und dich sterbend zurücklassen.«
    Mit letzter Kraft nickte der Schauspieler zustimmend. Der Nagual klopfte ihm den Rücken, und der Schmerz verschwand. Aber zusammen mit dem stechenden Schmerz verschwand noch etwas anderes: der Nebel in seinem Kopf. Und dann wußte der junge Schauspieler alles, ohne irgend etwas zu verstehen. Der Nagual stellte sich noch einmal vor. Er sagte, daß er Elias heiße, und daß er der Nagual sei. Der Schauspieler wußte, was dies alles bedeutete.
    Dann wandte der Nagual Elias seine Aufmerksamkeit der halbbewußtlosen Talia zu. Er brachte seinen Mund an ihr linkes Ohr und flüsterte ihre Befehle zu, um das ziellose Umherschweifen ihres Montagepunkts anzuhalten. Er beschwichtigte ihre Angst, indem er ihr flüsternd Geschichten von Zauberern erzählte, die das gleiche durchgemacht hätten, was sie erlebte. Als sie einigermaßen beruhigt war, stellte er sich als Nagual Elias vor, als Zauberer; und dann tat er für sie das Schwerste, was man tun kann in der Zauberei: die Bewegung des Montagepunktes über das Reich

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