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Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Titel: Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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immer in verhüllter Form geschieht, sagte Don Juan, konnten Talia und der junge Schauspieler ihre Vision natürlich nicht festhalten. Sie vergaßen sie bald, wie jeder sie vergessen hätte. Das Besondere an ihrem Erlebnis war, daß sie, ohne Schulung und ohne sich dessen bewußt zu sein, zusammen geträumt und den Geist gesehen hatten. Daß sie dies mit solcher Leichtigkeit geschafft hatten, war ganz außergewöhnlich.
    »Die beiden waren wirklich die bemerkenswertesten Menschen, denen ich je begegnet bin«, fügte Don Juan hinzu.
    Ich wollte natürlich mehr über sie erfahren. Aber Don Juan gab mir nicht nach. Dies, sagte er, sei alles, was es über seinen Wohltäter und den vierten abstrakten Kern zu erfahren gebe.
    Er schien sich an etwas zu erinnern, was er mir nicht sagen wollte, und lachte schallend. Dann klopfte er mir den Rücken und meinte, es sei an der Zeit, aufzubrechen zu jener Höhle.
    Als wir das Felsband erreichten, war es beinah dunkel. Don Juan setzte sich rasch - in der gleichen Haltung wie beim erstenmal. Er saß rechts von mir und berührte mich mit seiner Schulter. Er schien sofort in einen Zustand tiefer Entspannung zu versinken, was auch mich in völlige Reglosigkeit und Schweigen versetzte. Ich hörte nicht einmal seinen Atem. Ich schloß die Augen, und er ermahnte mich mit einem Rippenstoß, sie offenzuhalten.
    Als es ganz dunkel geworden war, überkam mich eine ungeheure Müdigkeit, die meine Augen jucken und schmerzen ließ. Endlich gab ich meinen Widerstand auf und sank in den tiefsten, finstersten
    Schlaf, den ich jemals erlebt hatte. Und doch war es kein vollständiger Schlaf, denn ich spürte die dichte Finsternis um mich her. Ich hatte die durchaus körperliche Empfindung, durch diese Finsternis zu waten. Diese färbte sich plötzlich rötlich, dann orange, dann strahlend weiß - wie ein furchtbar starkes Neonlicht. Allmählich blickten meine Augen schärfer, bis ich sah, daß ich noch immer in derselben Haltung neben Don Juan saß - jedoch nicht mehr in dieser Höhle. Wir befanden uns auf einem Berggipfel und blickten auf herrliche Ebenen hinaus, auf Berge in der Feme. Diese schöne Prärie war von einem Leuchten übergossen, das wie Lichtstrahlen vom Erdboden selbst auszugehen schien. Wohin ich auch schaute, sah ich vertraute Formen: Felsen, Hügel, Flüsse, Wälder, Schluchten, erhöht und verwandelt durch ihr inneres Vibrieren, ihr inneres Leuchten. Dieses Leuchten, das meinen Augen so angenehm war, vibrierte auch aus meinem Innersten hervor.
    »Dein Montagepunkt hat sich bewegt«, schien Don Juan zu mir zu sagen.
    Seine Worte hatten keinen Klang; trotzdem wußte ich, was er eben zu mir gesagt hatte. Rational versuchte ich mir zu erklären, daß ich ihn zweifellos gehört hatte, wie ich ihn hören würde, wenn er in einem Vakuum zu mir spräche - wahrscheinlich weil meine Ohren vorübergehend in Mitleidenschaft gezogen waren durch das, was hier vor sich ging.
    »Deine Ohren sind in Ordnung. Wir befinden uns in einer anderen Sphäre des Bewußtseins«, schien Don Juan mir abermals zu sagen.
    Ich konnte nicht sprechen. Das Phlegma eines tiefen Schlafes hinderte mich, auch nur ein Wort zu sagen, und doch war ich so wach, wie ich nur sein konnte.
    »Was ist hier los?« dachte ich.
    »Die Höhle hat deinen Montagepunkt in Bewegung versetzt«, dachte Don Juan, und ich hörte seine Gedanken, als wären es meine eigenen, vor mich hingesprochenen Worte.
    Ich spürte einen Befehl, der nicht in Gedanken ausgedrückt war. Irgend etwas befahl mir, wieder diese Prärie anzuschauen. Während ich den erstaunlichen Anblick unverwandt anstarrte, begannen Lichtfasern von allem abzustrahlen, was sich auf dieser Prärie befand. Zuerst war es wie das Hervorbersten einer unendlichen Zahl kurzer Fasern, dann wuchsen die Fasern zu langen, fadenförmigen Strängen eines hellen Leuchtens, gebündelt zu Strahlen vibrierenden Lichts, die bis in das All reichten. Es war mir ganz unmöglich, einen Sinn zu erkennen in dem, was ich sah, oder es zu beschreiben - es sei denn, als Fasern vibrierenden Lichts. Die Fasern waren nicht vermischt oder verflochten. Obwohl sie ununterbrochen in alle Richtungen explodierten und immer weiter explodierten, war jede gesondert, und doch waren sie alle unauflöslich zusammengebündelt.
    »Du siehst die Emanationen des Adlers sowie die Kraft, die sie getrennt hält und zusammenbündelt«, dachte Don Juan.
    In dem Augenblick, als ich seinen Gedanken auffing, schienen die

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