Die Kreatur
konnte seinen Finger nicht auf den Grund für diesen Argwohn
legen. Seine Intuition, die tiefer ging als bloßes Wissen und Vernunft, sagte ihm, dass Pater Patrick Duchaine kein Kind Gottes war.
Der Geistliche war etwa sechzig Jahre alt und hatte weißes Haar und ein bezauberndes Gesicht, ein vollendeter Klon, vielleicht sogar von einem echten Geistlichen geklont, der jetzt in einem anonymen Grab verweste.
Vorwiegend Alleinstehende und nur wenige Paare, alle eher älter als jünger und insgesamt weniger als zwei Dutzend Gemeindemitglieder, hatten sich zur Abendandacht versammelt. Der Gottesdienst hatte noch nicht begonnen, und sie saßen stumm da und störten die Stille der Kirche nicht.
Auf einer Seite des Mittelschiffs loderten die Buntglasfenster im glühenden Licht der Sonne, die im Westen versank. Bunte geometrische Muster wurden auf die Andächtigen und auf die Kirchenbänke projiziert.
Unsere Liebe Frau der Kummervollen öffnete ihre Beichtstühle jeden Morgen vor der Messe und an Abenden wie jetzt, wenn die Andacht abgehalten wurde.
Deucalion hielt sich im schattigen Seitenschiff östlich des Hauptschiffs, um nicht in den Lichterglanz des Buntglases getaucht zu werden, während er auf einen Beichtstuhl zuging, die Tür schloss und sich hinkniete.
Als der Geistliche das Türchen vor dem Gitter zwischen ihnen zur Seite schob und ihn somit zur Beichte aufforderte, sagte Deucalion leise: »Wohnt dein Gott im Himmel, Pater Duchaine, oder im Garden District?«
Der Geistliche schwieg einen Moment lang, doch dann sagte er: »Das klingt wie die Frage eines übermäßig bedrückten Menschen.«
»Nicht eines Menschen, Pater. Mehr als ein Mensch. Und zugleich weniger als ein Mensch. Wie du, vermute ich.«
Nach kurzem Zögern sagte der Geistliche: »Warum bist du hergekommen?«
»Um dir zu helfen.«
»Weshalb sollte ich Hilfe brauchen?«
»Du leidest.«
»Diese Welt ist für uns alle ein Jammertal.«
»Daran können wir etwas ändern.«
»Es steht nicht in unserer Macht, die Dinge zu verändern. Wir können sie nur erdulden.«
»Du predigst Hoffnung, Pater. Aber du selbst besitzt keine Hoffnung.«
Das Schweigen des Geistlichen verdammte ihn und wies ihn als den aus, der er war.
Deucalion sagte: »Wie schwierig es für dich sein muss, anderen zu beteuern, dass Gott Erbarmen mit ihren unsterblichen Seelen haben wird, wenn du weißt, dass du keine Seele hast, der Gott, sofern Er existiert, Seine Gnade und ewiges Leben gewähren könnte.«
»Was willst du von mir?«
»Ein privates Gespräch. Unvoreingenommenheit. Diskretion. «
Nach kurzem Zögern sagte Pater Duchaine: »Komm im Anschluss an den Gottesdienst in die Pfarrei.«
»Ich werde in deiner Küche auf dich warten. Was ich dir zu geben habe, Pater, ist die Hoffnung, von der du nicht glaubst, dass sie jemals dein sein wird. Du brauchst nur den Mut aufzubringen, daran zu glauben und danach zu greifen.«
33
Carson parkte den Wagen auf der Böschung des Forstwegs, und sie trugen die Koffer durch das Pinienwäldchen, einen sanft ansteigenden, sonnigen Hang hinauf und dann zwischen immergrüne
Eichen mit dichten Kronen. Hinter den Eichen erstreckte sich eine ausgedehnte Wiese.
Der Stadtpark von New Orleans war zweimal so groß wie der Central Park in New York und diente einer Bevölkerung, die nur einen Bruchteil der Einwohner von Manhattan zählte. Daher gab es auf seinem Gelände einsame Stellen, insbesondere in den letzten rötlichen Stunden eines sich schnell verflüchtigenden Sommernachmittags.
Nicht ein einziger Mensch ging auf der großen Wiese spazieren oder hielt Zwiesprache mit der Natur, spielte mit einem Hund, warf ein Frisbee oder schaffte sich eine Leiche vom Hals.
Michael stellte seinen Koffer ab und deutete auf eine grasbewachsene Stelle, die keine drei Meter von den Eichen entfernt war. »Dort haben wir den Kopf des Buchhalters gefunden, an diesen Stein gelehnt. Das war so einer, den man bestimmt nicht vergisst.«
»Wenn eine geeignete Karte für diesen Anlass im Handel wäre«, sagte Carson, »würde ich dir jedes Jahr eine schicken.«
»Mich hat beeindruckt, wie keck er den Cowboyhut auf dem Kopf trug«, erinnerte sich Michael, »insbesondere, wenn man die Umstände in Betracht zieht, in denen er war.«
»War das nicht ihr erstes Rendezvous?«, fragte Carson.
»Genau. Sie haben gemeinsam eine Kostümparty besucht. Deshalb trug er doch das Cowboykostüm aus mitternachtsblauem Leder mit Rheinkieseln.«
»Seine Stiefel waren
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