Die Kreuzfahrerin
lange, und eine der beiden Kühe würde zu brüllen beginnen. Ute hatte dann oft erst ein oder zwei Löffel Brei gegessen und ließ ihre Holzschale nur äußerst ungern stehen. Das Melken hatte allerdings Vorrang. Sie würde später den kalten Rest zu sich nehmen. Auffordernd schaute Ute Ursula an. „Ja, ich komme“, murmelte sie mit vollem Mund, stand auf, griff sich den Eimer und folgte der Magd in den Stall.
Die beiden Kühe verstummten und sahen den beiden Frauen erwartungsvoll entgegen. Ute hockte sich mit dem Eimer hin und griff nach dem vollen Euter. Ursula kämpfte zuerst mit dem Schwanz des Tieres, bis sie ihn mit einer Schlaufe gebunden daran hinderte, sie oder Ute zu treffen. Dann hockte sie sich auf die andere Seite, ergriff die beiden freien Zitzen und drückte die Milch mit gleichmäßigen Bewegungen aus ihnen heraus. Sie schmiegte ihre Wange an den warmen Bauch der Kuh, und diese Wärme sowie der Duft aus Heu und Dung ließen sie manchmal die schon nach kurzer Zeit schmerzenden Unterarme vergessen. Noch gar nicht lange zählte das Melken auch zu ihrem Aufgabenbereich, und ihre Muskeln mussten sich noch an die neuen Anforderungen gewöhnen. In der dunstigen Wärme des Stalls gab sie manchmal dem Drang nach, die Augen zu schließen, doch spätestens, wenn Ute mit ihrer Seite fertig war und unwirsch ihre Hände beiseiteschob, fühlte sie sich dabei ertappt und hatte ein schlechtes Gewissen. Bei der Arbeit träumen, eigenen Gedanken nachhängen, all das wurde nicht gerne gesehen. Manchmal glaubte Ursula, sie sei auf dem Hof die einzige, deren Gedanken sich immer wieder in Träumereien und Wünsche verloren.
Vor den Mauern Arqas,
14. April 1099
„Ursula, Ursula! Was ist mit dir? Träumst du?“ Hildes Stimme holte sie zurück unter die Zeltplanen des Lagers. Mit besorgtem Blick stand die Freundin vor ihr und schaute ihr ins Gesicht. Amüsiert registrierte Ursula, dass Hilde sich dazu nicht einmal zu ihr herabbeugen musste, obwohl sie in sich gesunken auf dem Schemel kauerte. Zu Hildes geringem Wuchs kam noch ihre körperliche Fülle hinzu, die etwa das Ausmaß und den Umfang von Ursulas den Umständen nach angeschwollenem Leib hatte. So ungleich die beiden Frauen auch sein mochten, so tief war ihre Zuneigung zueinander, die im Lauf der gemeinsam durchstandenen Monate gewachsen war. Ursula versuchte zu lächeln. „Es geht schon, Hilde. Dem Kleinen wird es wohl langsam zu eng. Hast du einen Becher Wasser für mich? Ich habe nur etwas gedöst.“
Erstaunlich flink wuselte Hilde durch das unaufgeräumte Zelt und brachte ihrer Freundin einen Becher. „Ursula, du musst noch etwas durchhalten. Wir werden wohl heute noch packen müssen“, sagte sie und beobachtete, wie Ursula den Becher in einem Zug leerte. Sie machte sich Sorgen. Es konnte nicht mehr allzu lang bis zur Geburt dauern, und sie wünschte sich, vorher noch in der Stadt angekommen zu sein. Ihr Mienenspiel verriet allerdings nichts von all ihren Gedanken.
„Danke“, seufzte Ursula und stellte den Becher ab. „Wie sieht es draußen aus? Ist es schlimm?“
„Nein, nicht schlimmer als sonst auch. Auch die Schwerter der Heiden schlagen tiefe Wunden. Aber allzu viele Tote haben wir diesmal nicht zu beklagen. Ich habe dem Bader versprochen, ein paar saubere Tücher zu bringen. Weißt du, wo wir noch welche haben?“ Hilde war schon wieder auf den Beinen, huschte im Zelt umher und schaute in Säcke und Kisten. „Ah, da sind sie“, rief sie noch aus und war fast im selben Moment mit ihrer Beute wieder durch die Zeltbahnen hindurch Ursulas Blicken entschwunden. Ursula richtete sich langsam auf, blieb aber noch etwas auf dem Schemel sitzen. Sanft streichelte sie über die pralle Rundung ihres Bauches. Als sie sich schließlich langsam erhob, spürte sie erneut dieses Ziehen. Sie hielt sich am Holz der Tischplatte und sog heftig Luft zwischen den zusammengebissenen Zähnen ein. Der Schmerz ließ nach, doch nun spürte sie ein anderes Drängen. Sie musste raus, das Kind drückte ihr heftig auf die Blase. Vorsichtig setzte sie sich in Bewegung, trat vor das Zelt in die gleißende Sonne und ließ ihren Blick über den etwas abgelegenen Teil des Heerlagers schweifen. An einigen Stellen kringelte sich träge Rauch in die vor Hitze flimmernde Luft. Kaum jemand bewegte sich zwischen den Zeltpyramiden. Die meisten lagen sicherlich auf ihren Säcken und ruhten nach den Anstrengungen der letzten Tage. Niemand begegnete ihr auf dem Weg an den Rand des
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