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Die Kreuzweg-Legende

Die Kreuzweg-Legende

Titel: Die Kreuzweg-Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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ihr, schüttelte es, riß die ersten Blätter los, die zu Boden taumelten, und packte auch den Gehängten.
    Der Wind spielte mit ihm, als wäre er eine Figur. Der Tote wurde nach rechts geschwungen, fiel wieder zurück, während sein Kopf starr in der Schlinge steckenblieb.
    Es war ein schauriges Bild, das nicht dazu beitrug, die Angst des Mädchens zu drosseln.
    Die alten Äste bewegten sich ächzend. Der gesamte Baum schien unter der erdrückenden Last des Windes zu stöhnen. Blitz auf Blitz jagte über den düsteren, mit dicken Wolken bedeckten Himmel. Die langen, hellen Speere spalteten den Dunst, rasten nieder zur Erde und fanden irgendwo ihre Ziele.
    Wanda fiel ein, daß auch dieser Galgenbaum sehr einsam stand. Er konnte leicht von einem Blizstrahl getroffen werden, der sie zwangsläufig dann auch erwischte.
    Sie hatte die Hände zusammengelegt und bewegte zitternd die Lippen. Leise Worte drangen aus ihrem Mund. Es war ein Gebet, das ihre Angst vertreiben sollte. Schon in den Kindertagen hatte es ihre Mutter sie gelehrt. Jetzt erinnerte sich Wanda wieder daran.
    Schwer und gleichzeitig hektisch holte sie Atem. Wenn sie ihre Aufgabe erfüllen wollte, mußte sie es jetzt tun. Die rechte Hand verschwand in der Manteltasche. Mit einer entschlossenen Bewegung zog das Mädchen die Klinge hervor.
    Einen Augenblick länger als gewöhnlich starrte sie auf die blanke Klinge mit der scharfen Schneide.
    »Der Herrgott möge mir verzeihen!« flüsterte sie, als sie sich dem Gehängten näherte und den rechten Arm anhob. Sie brachte die Schneide des Messers dicht an das Seil und rieb dagegen. Die Fasern zersprangen, der Wind wehte sie weg. Blitz und Donner jagten über den Himmel und führten ihr Wechselspiel fort, das die Aktionen des jungen Mädchens begleitete.
    Noch zweimal mußte sie nachschneiden, dann hatte sie es geschafft. Das Seil riß!
    Der Hals des Toten blieb in der Schlinge, als der Mann selbst nach unten kippte. Seine Füße prallten auf den Boden. Wanda schaute staunend zu. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, als würde der Tote tatsächlich stehenbleiben, dann sackte er zusammen und schlug lang auf den Rücken.
    Wanda holte tief Luft. Sie drehte ihr Gesicht dem Ast zu und sah ihn leer. Geschafft!
    Sie hatte ihren Plan tatsächlich in die Tat umgesetzt. Plötzlich kümmerte sie das Gewitter nicht mehr. Es war ihr egal, ob sich Donner und Blitz ablösten, der Tote auf dem Boden erschien ihr in diesen Augenblicken viel wichtiger.
    Neben ihm kniete das Mädchen nieder. Sie schaute ihn an, sah das leichenblasse, etwas bläulich schimmernde Gesicht aus der Nähe und auch den Zungenklumpen, der zwischen den Lippen hervorschaute. Normalerweise wäre sie weggelaufen, doch dieser Mann war etwas Besonderes. Er hatte sie gerufen und zur Frau machen wollen. Sie hätte sich ihm auch hingegeben, doch die Menschen waren schneller gewesen und hatten ihn aufgehängt.
    Welch eine Schandtat!
    Nichts konnte sie mehr für ihn tun. Nur noch einen letzten Dienst erweisen. Sie würde ihn nehmen und in den Wald schleifen, wo sie ein Grab für ihn ausheben wollte.
    Wenigstens einen letzten Liebesdienst erweisen.
    Im fahlen Widerschein der Blitze hockte Wanda neben der Leiche und schaute sie stumm an, wobei sie den Kopf schüttelte, bevor die nächsten Worte aus ihrem Mund drangen.
    »Du sollst hier nicht verrecken, Liebster. Ich werde dir ein Grab besorgen. In der kühlen Erde unseres Heimatlandes Polen sollst du deine letzte Ruhestätte finden. Alles andere ist vergessen. Ich allein weiß, daß du es nicht schlecht…«
    Der krachende Donner riß ihr die nächsten Worte von den Lippen, und Wanda zuckte zusammen.
    Nicht nur allein wegen des Donnerschlags. Sie hatte auch etwas anderes wahrgenommen.
    Die Zunge war verschwunden!
    Hatte sie bis vor wenigen Sekunden noch aus dem Mund hervorgeschaut, so entdeckte Wanda sie nun nicht mehr. Sie mußte in den Hals zurückgefallen sein.
    Von allein?
    Wanda wischte über die Stirn. Wahrscheinlich, denn der Tote lag auf dem Rücken, da hatte so etwas leicht passieren können. Einen Herzschlag später traf Wanda der nächste Schock. Plötzlich bewegten sich die Lippen der Leiche! Als bestünden sie aus altem Gummi, so wurden sie in die Breite gezogen. Seltsam dunkel glänzte das Gesicht des Toten. Nicht schwarz, nicht blau, in einer gräulichen Farbmischung.
    Wanda zuckte zurück.
    Im nächsten krachenden Donnerschlag sah sie, wie sich die Lippen der Leiche zum Sprechen bewegten, so als

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