Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
neidische, klatschsüchtige und boshafte Rivalinnen, sie nicht leiden konnten.
Begehrliche oder vernichtende Blicke war Eryne gewohnt, nur richtige Freunde hatte sie noch nie gehabt. Bislang hatte sie das auch nicht vermisst. Man las ihr jeden Wunsch von den Augen ab, die Männer buhlten um ihre Aufmerksamkeit, und die schnippischen Wortgefechte, die sie sich mit den anderen Edelfräulein lieferte, waren ihr für gewöhnlich Kurzweil genug. Ein anderes Leben konnte sie sich nicht vorstellen.
Aber heute Abend … Zwar war der Ball prächtig gewesen, ihre Verehrer hatten sie mit charmanten Geschenken überhäuft, und ihr Schlagabtausch mit der Prinzessin von Semilia war mit vielen Lachern quittiert worden. Trotzdem hatte ihr die Geborgenheit gefehlt, die sie im Kreis ihrer Familie empfand. In der leeren Kutsche, in der sie nun in das großbürgerliche Viertel von Lorelia zurückfuhr, wurde ihr Heimweh noch stärker. Ihre Eltern benutzten die Karosse fast nie, schließlich begleiteten sie ihre Tochter nur selten auf festliche Empfänge. Dabei hätte sich Eryne so sehr gewünscht, dass sie ihr zuliebe mitkamen, wenigstens dieses eine Mal. Warum war sie immer die Einzige, die die Familie von Kercyan vertrat?
Ihrem Vater Reyan war nach der Schlacht am Blumenberg wieder der Herzogtitel seiner Vorfahren zugesprochen worden. König Bondrian und die lorelischen Edelleute hatten ihn wie einen Helden empfangen und ihm die Ländereien zurückgegeben, die seinem Urgroßvater abgenommen worden waren. Auch seiner Frau, Erynes Mutter Emaz Lana, war große Ehre zuteilgeworden, weil sie das arkische Heer zu Hilfe gerufen hatte. Wie es schien, hatten die beiden zusammen mit einer Handvoll Freunde die Oberen Königreiche vor der Eroberung bewahrt. Aber das begannen die Leute bereits zu vergessen.
Besonders gehässige Höflinge pflegten mit einem gewissen Vergnügen darauf hinzuweisen, dass Herzog Reyan die Hälfte seines Lebens in der Gosse gelebt hatte und als fahrender Schauspieler auf Marktplätzen aufgetreten war. Einige wussten sogar von einem dreisten Diebstahl im Kleinen Palast zu berichten. Bei diesen Lästermäulern kannte Eryne keine Gnade. Ihrer spitzen Zunge entging niemand.
Doch mittlerweile hatte die junge Frau es satt, ganz allein dafür zu sorgen, dass der gute Name der Familie nicht in den Schmutz gezogen wurde. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sich ihre Eltern häufiger in die Angelegenheiten des Königreichs einmischen sollen. Würden sie sich nur öfter zu Wort melden, sich in der Gesellschaft zeigen und ihren Einfluss geltend machen, bevor er gänzlich verloren ging! Aber Lana und Reyan verhielten sich nie wie alle anderen. Sie kümmerten sich noch nicht einmal um ihr Herzogtum, dessen Verwaltung sie einem Vogt überlassen hatten. Während die anderen Edelleute rauschende Feste gaben, begnügte sich das Paar damit, mit Freunden bescheidener Herkunft im kleinen Kreis zu feiern. Während die Reichsten der Reichen ihr Geld horteten und nach immer neuen Geschäften Ausschau hielten, griffen die Kercyans den eurydischen Priestern unter die Arme, ließen Tempel instand setzen und förderten die Verbreitung der größten Religionen. Und während sich die Mitglieder des Hofstaats mit immer neuen Liebschaften brüsteten, blieben sich die beiden Jahr um Jahr treu verbunden. Darauf wiederum war Eryne sehr stolz.
Ihre liebevolle Art hätte ihr heute Abend gutgetan, und sie hatte sich mehr als je zuvor die Begleitung und Unterstützung ihrer Eltern gewünscht. Wie konnte sie hoffen, weiter bei Hofe empfangen zu werden, wenn ihre Eltern darauf beharrten, den Umgang mit der feinen Gesellschaft zu meiden und sich stattdessen mit gemeinem Volk abzugeben? Dass sie die meisten Einladungen ablehnten, löste großen Unmut aus, selbst im engsten Umfeld des alten Königs, wo diese Zurückhaltung schon fast als Beleidigung angesehen wurde.
Über diese beunruhigenden Gedanken beschloss Eryne, dass es höchste Zeit wurde, ein ernstes Wörtchen mit ihren Eltern zu reden. Das letzte Stück der Fahrt verbrachte sie damit, sich eine wohlformulierte Ermahnung zurechtzulegen. Beim nächsten Mal durften sich Reyan und Lana nicht drücken! Wenn sie ihrer Tochter helfen wollten, ein ihrem Stand entsprechendes Leben zu fuhren, mussten sie gefälligst etwas mehr ausgehen!
Endlich rollte die Kutsche unter dem Steinbogen hindurch, der in den Innenhof des elterlichen Anwesens führte. Der achte Dekant neigte sich seinem Ende zu: Die Nacht
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