Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
fegte durch eine dicke Staubschicht, als sie auf die Mauer am anderen Ende zueilte und fieberhaft nach der Öffnung suchte.
Schließlich stieß sie auf das Holzbrett, mit dem der Durchgang kaschiert war. Eryne klopfte zweimal kurz dagegen und betete darum, eine Antwort zu erhalten. Doch eine ganze Dezille verstrich, ohne dass das geringste Geräusch zu hören war. Dort waren ihre Eltern also auch nicht. Sie waren tatsächlich verschwunden.
Der jungen Frau stiegen Tränen in die Augen, obwohl sie verzweifelt versuchte, sich Mut zu machen.
Sie können sich nicht einfach in Luft aufgelöst haben, ohne erkennbaren Grund und ohne jede Spur. Sie kommen bestimmt zurück. Noch heute Nacht, oder eben morgen. Ja, morgen.
Nun würde sie allein nach oben in ihr Zimmer zurückkehren müssen, und diese Vorstellung jagte ihr einen Schauer über den Rücken. So sicher, wie sie immer geglaubt hatte, war das Haus vielleicht doch nicht. Kurzentschlossen schob sie das Brett beiseite und kletterte durch die Öffnung in die geheime Kammer. Sie hätte nie gedacht, sie jemals benutzen zu müssen …
Auf engstem Raum hatte Reyan alles gelagert, was man für einen Aufenthalt von mehreren Tagen brauchte: eine Matratze, Decken, eine Öllampe und Vorräte, die hin und wieder erneuert wurden. Außerdem hatte er in dem Versteck mehrere Waffen und eine kleine Schatulle voller Goldterzen verstaut.
An der gegenüberliegenden Wand befand sich eine riesige Tür, die mit mehreren schweren Schlössern gesichert war und Rey zufolge in ein Netz unterirdischer Gänge führte, das früher von Schmugglern benutzt worden war. Eryne hatte ihren Vater den Durchgang noch nie öffnen sehen, und sie stellte zu ihrem Bedauern fest, dass die Riegel allesamt verschlossen waren. Diesen Fluchtweg konnten ihre Eltern also auch nicht genommen haben.
Mit tränennassem Gesicht zog sie das Holzbrett wieder vor die Öffnung und kauerte sich auf die Matratze, die nach Moder roch. Schnell kroch ihr die Kälte durch den Mantel und das Ballkleid bis in die Glieder. Sie zog einige Decken heran, aber als sie Mäusekot auf ihnen entdeckte, ließ sie sie schluchzend fallen. So verbrachte sie einige Dekanten in unruhigem Halbschlaf, während ihr immer wieder dieselben Fragen durch den Kopf gingen: Was war ihren Eltern zugestoßen? Waren sie überhaupt noch am Leben?
Sie hätte nicht sagen können, wie viel Zeit vergangen war, als sie plötzlich von einem Knarzen aus dem Schlummer gerissen wurde. Bis sie das Geräusch mit den Schranktüren in Verbindung gebracht hatte, zerrte bereits jemand an dem Holzbrett, das ihr Versteck verbarg, und kam dann langsam auf sie zu.
Völler Entsetzen erblickte Eryne einen Mann mit kahlgeschorenem Schädel und Priestergewand.
***
»Cael! Wach auf, es geht los!«
Mit einer Grimasse zerrte der Junge an der Decke, die ihm sein Stubenkamerad weggezogen hatte. Beim Abendessen im Speisesaal des Großen Hauses war er von ihrer Idee begeistert gewesen, aber jetzt, da er tatsächlich mitten in der Nacht aufstehen sollte, fand er sie sehr viel weniger aufregend.
»Beeil dich«, drängte Janlin. »Komm schon! So eine Gelegenheit bekommen wir nicht noch mal!«
Widerwillig rang sich Cael dazu durch, sein warmes Bett zu verlassen. Der Boden des Schlafsaals war eiskalt. Hastig schlüpfte der Junge in seine weichen Lederstiefel und zog sich die Ärmel über die Handgelenke. Die Flure waren lang und kalt, und er trug nur ein dünnes Nachthemd.
»Wo geht ihr hin?«, flüsterte eine Stimme aus dem Nachbarbett.
»Nirgends!«, zischte Janlin. »Sei still und kümmere dich um deinen eigenen Kram!«
Der Naseweis war einer der jüngsten der sechzig Internatsschüler, während Cael und Janlin mit ihren vierzehn Jahren zu den ältesten gehörten. Einem Befehl der Großen zu widersprechen, wäre dem Jungen nicht im Traum eingefallen: Er vergrub das Gesicht wieder im Kissen, ohne noch einmal einen Laut von sich zu geben.
»Und was ist mit dem Aufseher?«, fragte Cael und spähte besorgt zur Wachkammer.
»Der ist unterwegs, wie jede Nacht. Keine Ahnung, was der immer so treibt! Jedenfalls lässt uns das einen guten Dekant Zeit. Und jetzt komm!«
Auf Zehenspitzen tappten sie durch die Dunkelheit und legten drohend den Finger an die Lippen, wenn sie ein Mitschüler fragend ansah. Dann huschten sie durch die Tür, die den vierten Schlafsaal der Jungen vom Rest des Großen Hauses trennte, und schlugen den Weg zur Bibliothek ein.
Da sie keine Laterne oder Kerze
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