Die Kugel und das Opium
auf dieser Totenliste von dem ersten Hinweis bis zum letzten Beweis einen langwierigen Prozess durchlaufen, so wurden zum Beispiel die Angehörigen von Wu Guofeng befragt, wir haben ganze acht Jahre darauf verwandt. Es gab Hinweise, die sich nach wiederholter Überprüfung nicht verifizieren ließen, weswegen wir diese Namen von der Liste nehmen mussten; so haben wir 1998 allein über zehn Namen von der Liste genommen. Die Recherche war eine Sisyphusarbeit, selbst bei den Todesopfern, die bereits in die Liste aufgenommen waren, haben entsprechende Nachrichten, wie Ort der Ermordung, Art der Verwundung, das Krankenhaus, in dem sie starben, Situation der Familie oft einen langen Bearbeitungsprozess durchlaufen, bei dem zerstreute und fragmentarische Nachrichten sich langsam zu einem kompletten Bild vervollständigten. Auch die Namensliste, die wir heute veröffentlichen, enthält trotz jahrelanger Nach- und Überprüfung noch immer einige Lücken oder Fehler, die darauf warten, gefüllt oder korrigiert zu werden. Zudem haben wir die dringende Hoffnung, dass unsere große Leserschaft uns weitere neue Belege wird liefen können, damit diese Namensliste der Wahrheit so nahe wie möglich kommt.
Außerdem muss an dieser Stelle klargestellt werden: Bei der Zusammenstellung der Namensliste sind wir auf eine ganze Reihe von Problemen gestoßen, die kurzfristig nur sehr schwer zu lösen sind. So zum Beispiel haben die Angehörigen einiger Opfer (einschließlich der Verwundeten) Angst vor Repressalien durch die chinesischen Behörden und finden nicht den Mut, relevante Tatsachen preiszugeben; andere, die die Lage kennen, haben aus Selbsterhaltungstrieb die Zusammenarbeit und die Lieferung entsprechender Auskünfte verweigert; dazu kommt, dass in den Jahren viele in Frage kommende Personen unentwegt den Wohnsitz gewechselt haben, wodurch eine ganze Menge von Spuren allmählich verlorenging. Aus diesen Gründen sind die Umstände des Todes und der Verwundung von vielen Menschen nicht geklärt, und es ist momentan unmöglich, sie in eine der beiden Listen aufzunehmen.
Andererseits hat unsere Arbeit auch die Unterstützung vieler Sympathisanten und Freunde gefunden, darunter auch die von einigen Auslandsstudenten, die uns sehr viele wertvolle Hinweise geliefert haben. Ihnen möchten wir hier von Herzen unseren Dank aussprechen und damit die Hoffnung verbinden, dass sie uns auch in Zukunft unterstützen und helfen werden.
Die Namenslisten wurden über die Jahre insgesamt fünfmal der Außenwelt zur Verfügung gestellt:
Das erste Mal 1993 , als Ding Zilin bei der Großen Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen in Wien auf Einladung den Vorsitz übernahm, die Aufgabe dann aber aufgrund des Widerstands der zuständigen Behörden nicht wahrnehmen konnte. Deshalb hat sie schriftlich eine Rede an die Konferenz geschickt. In diese Rede eingeschlossen war eine Liste von damals bereits 16 Todesopfern.
Das zweite Mal 1994 , als Ding Zilin eine japanische, chinesische und englische Ausgabe der »Namensliste der Todesopfer des 4 . Juni« veröffentlichte. In den drei Ausgaben hat Ding Zilin unter ihrem eigenen Namen eine Liste von 96 Todesopfern und 49 Verwundeten veröffentlicht.
Das dritte Mal 1999 , zum zehnten Jahrestag des 4 . Juni, haben wir gemeinsam mit Unterstützung der Organisation »Human Rights in China« einen kleinen Band mit dem Titel
Augenzeugen des Massakers – Suche nach Gerechtigkeit
herausgebracht, mit dem eine Namensliste von damals bereits verifizierten 155 Todesopfern veröffentlicht wurde.
Das vierte Mal 2005 , als der Hongkonger Zeitschriftenverlag
Kaifang
(Öffnung) ein Buch Ding Zilins mit dem Titel
Auf der Suche nach den Opfern des 4 . Juni
herausbrachte, in dem die Zahl der Toten mit 186 noch einmal um 31 höher lag als in der Liste von 1999 .
Das fünfte Mal schließlich am 16 . September 2010 wurde die Liste noch einmal revidiert auf insgesamt 201 Todesopfer. Darunter waren noch eine ganze Reihe von Opfern, deren Name und/oder Vorname nicht bekannt waren, und das aus zwei Gründen: einmal, weil die Angehörigen den vollen Namen nicht veröffentlicht sehen wollten; zum anderen, weil man vorläufig den Verbleib der Angehörigen eines Opfers noch nicht ausfindig gemacht hatte. In solchen Fällen bedurfte es mindestens zweier Augenzeugen, um jemanden in die Liste aufzunehmen, so dass eine große Zahl von Toten, von der man nur vom Hörensagen wusste, aber keinen Beweis durch Augenzeugen erbringen
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