Die Kugel und das Opium
Die 10000 Kuai, die mir mein großer Bruder Damao lieh, habe ich fast vollständig als Alimente für meine Tochter verbraucht – ich war bereits ein halbes Jahr im Gefängnis, als sie zur Welt kam, heute ist sie schon 21 , doch mit mir hat sie, wenn man alles zusammenzählt, keine zwei Monate verbracht.
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Ich trieb mich herum und kam herunter, lebte als Straßenmusiker von meinem Flötenspiel. Wenn ich Zeit hatte, Luft zu holen, schrieb ich heimlich meine Erfahrungen im Gefängnis nieder. Was vor dem 4 . Juni 1989 geschehen war, rückte allmählich in immer weitere Ferne. Die Zeit verging mit nichts, ein lautloses Dahinfließen, ich hielt mich für den bedauernswertesten Menschen auf der Welt. Sogar dem Geheimpolizisten tat ich leid, er suchte mir einen Laden und stand mir auf den Füßen, ich solle Klamotten verkaufen. Ich sagte, ich sei kein Verkäufer.
Er sagte, so etwas Einfaches kannst du nicht? Ich nehme dich einmal mit zu dem Flohmarkt am Lotusteich neben dem Beimen-Bahnhof, da kaufen wir dir dann einen Packen Klamotten und Hosen, dann noch ein paar Logos von bekannten Marken, die nimmst du mit. Ein paar Spritzer Wasser drüber, ausgebürstet, ausgeschüttelt, ausgelüftet, dann noch gründlich mit dem Bügeleisen drüber, und sie sind von echten nicht zu unterscheiden. Und dann fasst du dir ein Herz, du musst mit den Kunden feilschen, verlass dich auf dich selbst, Zeug für um die zehn Kuai kannst du für fünfzig oder hundert weiterverkaufen, ist das nichts?
Ich sagte, die Kunden sind doch nicht auf den Kopf gefallen.
Er sagte, aber auch wenn sie nicht auf den Kopf gefallen sind, du musst sie dafür halten. Geschäfte machen, das ist psychologische Kriegführung.
Ich sagte, und wenn sie den Braten riechen?
Er sagte, wenn sie das an Ort und Stelle durchschauen, dann musst du auf Teufel komm raus alles abstreiten. Und wenn sie anfangen, Krach zu schlagen, nicht nachgeben, keine Draufgaben, du rufst mich an.
Damit die Polizei den Saustall aufräumt? Ich lachte bitter. So einen Job kann ich nicht machen.
Er sagte, das kannst du, damit ist gutes Geld zu verdienen. Die ersten beiden Jahre werde ich sehen, dass dir die Standmiete erlassen wird; und wenn das Feuer einmal brennt, dann schmiedest du das Eisen, solange es heiß ist, dann machst du eine Kette auf, in fünf Jahren hast du zehn Läden, wenn du dich anstrengst, in zehn Jahren fünfzig, dann bist du ganz oben, der Modeboss der Stadt. Und wenn du noch ein wenig die Treppe rauffällst, dann heuerst du ein paar Gelegenheitsarbeiter an und machst deine eigene Weiterverarbeitung auf, fälschst internationale Marken und verkaufst sie wieder auf dem internationalen Markt. Dann wirst du sicher der Großboss von einem Multi, und dann haben die Westler ohne dich keine Hose am Hintern.
Das brachte mich zum Lachen, doch kaum hatte ich den Mund zu, hatte ich das Gefühl, ich sollte mich schämen.
In dieser Nacht haben wir beide kräftig angestoßen, wir waren voll wie die Eimer, lagen uns in den Armen oder starrten uns feindselig an. Als wir auseinandergingen, wurde es schon fast hell, und er sagte noch einmal, alter Liao, du überlegst dir das noch mal, ja?
Ich sagte, lass mal, geh du deinen breiten Weg, ich gehe über meinen einsamen Holzsteg.
Mein einsamer Holzsteg bestand in meiner heimlichen Schreiberei. Und eines Nachmittags ein Jahr später hat ausgerechnet mein Geheimpolizist, mein Saufkumpan, mit einem Trupp aus heiterem Himmel meine Wohnung gestürmt und verkündet, das sei eine »gesetzliche Maßnahme«. Anschließend zeigte er mir einen Polizeiausweis, verlas den Durchsuchungsbefehl und tastete Zentimeter für Zentimeter Bett, Tisch, Zimmerdecke, Bodenbelag ab und ließ auch solche Winkel nicht aus, mit denen ich normalerweise kaum in Kontakt kam. Jede Schublade wurde aufgezogen. Jede Hosentasche nach außen gekehrt. Und auch wenn mein alter Wachhund Yuzui, Jadeschnauze, bellend protestierte, wurde auch sein Nest auf den Kopf gestellt. Alles, was irgendwie nach Text aussah, wurde auf der Stelle konfisziert, darunter auch Briefe, Notizen, eine Hundesuchanzeige und das fast fertige Manuskript meines Gefängnisberichts [1] .
Ich setzte meinen Namen unter eine Liste mit dem belastenden Material. Dann wurde ich mit einem Polizeiwagen in das nahe gelegene Revier gebracht und bis tief in die Nacht hinein verhört. Und derselbe, der mich einmal hatte Hosen verkaufen lassen wollen, brachte mich zur Tür, schüttelte mir die Hand, klopfte mir auf
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