Die Kultur der Reparatur (German Edition)
Informationsgesellschaft. So hat die Entwicklung hin zu immer mehr Bürokratie auch darin eine ihrer Ursachen, dass immer mehr Spezialisten kleinteilig über immer detailliertere Vorgaben, Verordnungen, Vorschriften usw. wachen und zudem immer neue erfinden. Dass man eine Steuererklärung eigentlich nicht im Detail verstehen kann, ist zumindest zum Teil einer ausufernden Detailgerechtigkeit geschuldet. Dass immer mehr evaluiert, geprüft, Bedenken getragen und immer weniger angepackt wird, liegt auch, aber nicht nur an der Komplexität der Welt im dritten Jahrtausend. Selbstverständlich brauchen wir auch automatisierte Tätigkeiten. Sonst wäre eine Gesellschaft wie die unsere nicht mehr denkbar. Durch die existierenden technischen Möglichkeiten kann aber heutzutage auch ein Schweißroboter die Schweißnaht selbstständig ausführen, oder der Computer macht meine Steuererklärung mittels vorgeschriebener Verfahrungsschritte (ich selbst brauche dann nur noch die Höhe meines Einkommens einzutragen). Expertensysteme auf Computern werden in Zukunft immer mehr wiederholbare oder monotone Arbeiten durchführen können, auch komplexere. Spezielle Programme, Expertensysteme, unterstützen zum Beispiel den Arzt dabei, eine computertomographische Aufnahme zu interpretieren. Sie können ihm dann auch die Art der „Reparatur“ des identifizierten Problems vorschlagen.
Aber wer immer nur eine einzige Schweißnaht an einem Werkstück anbringt, wird kaum noch nach der Gesamtschau der Dinge fragen, wird kaum einen Überblick haben. Selbstverständlich muss es in unserer Gesellschaft Spezialisten geben. Darüber hinaus brauchen wir jedoch mehr Menschen, die das Entstehen und Wieder-Vergehen von Dingen einordnen können.
In dieser Perspektive zeigt sich, dass Reparieren mehr ist als die Arbeit mit dem Schraubenschlüssel. Zur Reparatur gehört das Wissen um die Herstellung selbst. Und das Bewusstsein für Kreisläufe: Heute endet das Leben von Produkten häufig schnell. Doch selbst wenn ich etwas nicht mehr reparieren kann, sollte ich einen Gegenstand, ein Produkt nicht einfach in den Müll werfen, sondern recyceln. Das Recyceln erfordert das Denken in Stoffkreisläufen. Was in früheren handwerklichen Gesellschaften aus ökonomischen Gründen selbstverständlich war und heute vielleicht noch in manchen Kulturen im Kleinen zu finden ist, wie z. B. bei den Eskimos, die alles bei ihren Fängen verwerten und nichts wegschmeißen, muss sich im 21. Jahrhundert erst wieder breit entfalten. Dazu ist ein Verständnis für die haptischen, mechanischen und auch elektrischen Vorgänge eines Gegenstands, eines Geräts, Voraussetzung. Wir haben es sozusagen mit einer der Kehrseiten der industriellen Revolution zu tun. Man kann es nicht so schlimm finden, dass uns der Kontakt zu den Dingen verloren gegangen ist. Die Industrie trägt hierfür auch keine direkte Verantwortung. Es gibt jedoch andere Auswüchse der Wegwerfgesellschaft, die damit in Zusammenhang stehen, die nicht im Geringsten zu akzeptieren sind. Mehr dazu im folgenden Kapitel.
Die Anatomie der Wegwerfgesellschaft
Obsoleszenz
Gegen den IT-Riesen Apple wurde 2003 eine Sammelklage erhoben, mit der Anschuldigung, der Konzern hätte mit Absicht Akkus in seine iPod-Abspielgeräte eingesetzt, die sehr kurzlebig seien. Weiter wurdeangezeigt, dass die Akkus nicht austauschbar wären. Zum direkten gerichtlichen Nachweis kam es nicht, da Apple und die Kläger sich außergerichtlich einigten.
Im Allgemeinen sind Details der Technik heutiger Produkte so kompliziert, dass es schwierig ist, den Nachweis des Einbaus von gezielten Schwachstellen eindeutig zu erbringen. Das Problem der Obsoleszenz beginnt gerade erst virulent zu werden, also heißt es abwarten, was diesbezüglich noch an Urteilen gefällt wird. Klar ist jedoch, dass die Industrie ein Interesse daran hat, Produkte so herzustellen, dass ein Optimum an Materialeinsatz, Lebensdauer und Preis erreicht wird. Ihre betriebswirtschaftlich motivierte Strategie hat dabei oft denNachteil, dass Produkte nicht so lange halten, wie sie eigentlich – gebaut mit langlebigen Bauteilen und nach allen Regeln der Ingenieurskunst – halten könnten.
Der Kauf eines Radioapparats war für meine Eltern eine Anschaffung fürs Leben, das ist heute natürlich längst passé. Auch wenn Unternehmen keine Kunden mit Produkten vergrätzen wollen, die extrem schnell kaputtgehen: Es besteht der begründete Verdacht, dass die Lebensdauer der Produkte
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