Die Kultur der Reparatur (German Edition)
Experiment. Es ist objektivierbar. Das ist so zu verstehen: Ob eine physikalische Theorie richtig ist oder falsch, entscheidet kein in Auftrag gegebenes psychologisches oder rechtswissenschaftliches Gutachten, keine Expertise eines anderen. Allein die Natur entscheidet darüber, ob die Vorhersagen sich in einem Experiment verifizieren lassen. Und ob der Hammer, den ich gebaut habe, ein gelungenes Werkstück ist, entscheidet nicht so sehr eines Menschen Meinung, sondern das Experiment, die Benutzung. Zerbricht er gleich beim ersten Schlag, habe ich zweifellos etwas falsch gemacht. Kein Gutachten kann mir weismachen, dass es im Grunde doch ein erstklassiger, wunderbarer Hammer war.
Diese Objektivierung durch die Natur zeichnet auch das chemische oder physikalische Experiment aus. Galileo Galilei, dieser 1564 geborene italienische Naturwissenschaftler, hat es wohl als Erster auf den Punkt gebracht: Wie ein Stein zu Boden fällt, darüber ist nicht zu philosophieren. Es ist auch kein Kollege zu fragen, der eine interessant aussehende Gleichung aufstellt, eine Expertenanalyse macht, wenn man ihm nur genügend Geld dafür zahlt. Stellt man eine Theorie auf, ist sie allein an der Wirklichkeit zu messen – und das heißt: Ich frage einfach die Natur. Ich halte den Stein in der Hand, lasse ihn aus unterschiedlicher Höhe zu Boden fallen, beobachte genau und messe Höhe und Zeit, setzesie zueinander in Beziehung, und falls mir die Natur gnädig ist, finde ich ein einfaches mathematisches Verhältnis, das mithilfe einer Fallkonstante, der Erdbeschleunigung, zu einer Gleichung geschrieben werden kann, und überprüfe die Richtigkeit des so gefundenen Fallgesetzes dadurch, dass ich Vorhersagen für beliebige Fallhöhen und Fallzeiten machen kann.
Dadurch wird der Fall aus dem Ereignisraum der Beliebigkeit menschlichen Beurteilungsvermögens herausgenommen, er wird der Natur selbst übereignet. Es ist erstaunlich, wie sich mit einer einfachen Gleichung ein kompliziertes Verhalten beschreiben lässt, dessen Ursache, die Gravitation, bis heute nicht voll verstanden ist.
Auf jeden Fall existiert keine Abhängigkeit von Gedankenkonstruktionen mit all ihren Unwägbarkeiten und Fehlern, die der menschliche Geistso mit sich bringt. Man muss nur die Natur fragen.
Die Diagnostik ist eine holistische Tätigkeit. Beim Reparieren werden alle Sinne eingesetzt – wenn ein Motorrad nicht anspringt, hört man, was Sache ist, vielleicht ein Klopfen, es zuckelt, weil bei einem Vierzylinder eine Zündkerze ausgefallen ist, man riecht am Auspuff, dass ein falsches Öl verbrannt wird –, weshalb man kaum von einer stumpfen Arbeit sprechen kann. Hören, Sehen, Tasten, Riechen – und manchmal auch das Schmecken: Bei einer Neun-Volt-Batterie halte ich oft aus Faulheit meine Zunge an beide Pole, um zu prüfen, ob sie noch voll ist. Ist noch Ladung vorhanden, fließt ein kleiner Strom über meine feuchte Zunge vom Minus- zum Pluspol, und es entsteht ein kleiner Sinnesreiz, der mit einem bestimmten Geschmack im Mund verbunden ist. Das darf man natürlich nur bei sehr kleinen Spannungen so machen, keinesfalls mit Wechselspannungen oder Strom aus der Steckdose.
Mechanik beinhaltet das gesamte Können elementarer Herstellungs- und Reparaturverfahren. Wer in der Steinzeit einen Faustkeil hatte, wird ihn, wenn er nicht mehr funktionierte, wieder einsatzfähig gemacht haben. An dieses Denken sollten wir uns wieder herantasten.
Die weibliche Seite der Reparatur
Von vielen wird die Reparatur immer noch als männliche Domäne begriffen. Dabei sind es die Frauen, die zur Entwicklung einer Kultur der Reparatur vielleicht sogar mehr beigetragen haben als die Männer. Traditionell kam Frauen die Rolle zu, im Haushalt mit Ressourcenknappheit umzugehen. Sie flickten Kleider, setzten zerbrochene Porzellanvasen wieder zusammen, stopften und nähten, sorgten dafür, dass das Zusammenleben in der Gemeinschaft funktionieren konnte: Sie schmissen, um es salopp zu sagen, den Laden, die gesamte Logistik. Die Männer kümmerte es früher, so lange ist das gar nicht her, wenig, wie die Familie zusammengehalten wurde, das nahmen sie für selbstverständlich. Ihr Beitrag zur Kultur der Reparatur beschränkte sich auf die Instandhaltung der Jagdgeräte. Die Einheit, das große Ganze, hatten sie nicht im Blick, weshalb Frauen in einzigartiger Weise zur kulturellen Weiterentwicklung beigetragen haben.
Leider reduzierten sich im Lauf der Geschichte die Tätigkeiten der Frauen
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