Die Kultur der Reparatur (German Edition)
unerschütterliche Gewissheit erlangt: „Ich kann fast alles reparieren, zumindest kann ich mir helfen, einen Ausweg zu finden, wenn ein Defekt auftritt, auch aus diesem Grund wurde ich für den Einsatz auf derinternationalen Raumstation ISS im Weltraum ausgesucht. Selbst wenn das Klo verstopft gewesen wäre, wäre ich dazu in der Lage gewesen, es wieder in Gang zu bringen. Dort oben kann man keinen Klempner anrufen und an Bord bestellen, da muss man, wenn etwas kaputtgeht, es auch wieder instand setzen können. Don't ask, fix it, hieß es immer. Deshalb war Scotch Tape unser Favorit“, sagt er mit einem Augenzwinkern.
Die NASA sei sehr restriktiv, was die Ausstattung des Reparatursets an Bord betrifft: Lötkolben dürfen zum Beispiel nicht benutzt werden. Es stehen bloß ganz normale Werkzeuge und Ersatzteile zur Verfügung. Faszinierend, wenn man einmal die schweißtreibenden Außenbordeinsätze von Astronauten gesehen hat, die Satelliten einfangen und reparieren. Der Grund dafür, dass bei der ISS nicht immer die neueste und komplizierteste Technik verwendet wird, sondern vielfach im Jargon so genannte russische Technik, die zum Beispiel viel robuster ist, ist natürlich deren bessere Reparaturfähigkeit.
Auch bei Mondlandungen oder anderen Weltraumprogrammen ging und geht man davon aus, dass die Astronauten in dieser abgeschotteten Umgebung, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, etwas reparieren können sollten, falls etwas schiefgeht. Ulrich Walter war übrigens immerhin zehn Tage an Bord der Columbia, als sie Ende April 1993 in Richtung Erdumlaufbahn aufbrach, zusammen mit einem anderen Deutschen, Hans Schlegel, und fünf amerikanischen Astronauten.
Und falls in vielen Jahrzehnten einmal tatsächlich eine menschliche Besatzung an Bord einer Raumkapsel in RichtungMars aufbrechen sollte, muss aus naheliegenden Gründen die Anforderung an deren Autarkie so hoch sein, dass im Prinzip alles Defekte repariert oder ersetzt werden kann. Kein leichtes, aber ein höchst spannendes Unterfangen, das die Kultur der Reparatur in einem ganz neuen, hypermodernen Licht erscheinen lässt.
Der Mechaniker in uns
Wer wie Ulrich Walter regelmäßig selbst eine Sache von A bis Z ausführt, ist den Dingen weniger entfremdet. Das erzeugt Autonomie und Selbstvertrauen. Dafür muss man sich natürlich nicht erst ins Weltall begeben.
Einer meiner Bekannten ist bei der freiwilligen Feuerwehr, hauptberuflich arbeitet er im Schichtwechsel im Rettungsdienst. Er hat eine Ausbildung als Sanitäter und Feuerwehrmann, muss gleichzeitig in den Momenten, in denen keine Einsätze gefahren werden, die jeweiligen Wagen instand halten, säubern und sich um die Versorgungskoffer und Medikamente kümmern. Das hat sich als effizient und sinnvoll herausgestellt; es gibt bei der Übergabe zwischen den Einsatzmannschaften keine Schwierigkeiten, weil der eine nicht weiß, was der andere getan hat, weil sich alle um alles kümmern müssen und können, von A bis Z.
Deshalb singe ich das Hohelied der Mechanik, insbesondere auch der Elektromechanik. Heutzutage haben Sensoren überhandgenommen, bei denen ich nichts mehr spüre, so wie es bei einem Knopf der Fall wäre: In vielen Städten gibt es Fußgängerampeln, die über Sensoren funktionieren. Jedes Mal drücke ich noch in Erwartung eines mechanischen Vorgangs, eines Niedergehens oder Klickens des Tasters auf die Oberfläche des Sensors, vergeblich. Der Sensor gibt kein Feedback, keine Antwort. Er trägt zur Entfremdung von den Dingen bei: Mir fehlt das Gefühl, einen Schalter gedrückt zu haben. Ich bin ein altmodischer, haptischer Mensch, der die Mechanik, die Impulserhaltung, das alte Prinzip von actio und reactio spüren möchte. Wie Newton es in seinem dritten Axiom so schön formulierte: Bei der Wechselwirkung zwischen zwei Körpern (hier Finger und Druckschalter) erzeugt jede Kraft eine gleich große Gegenkraft.
Als die iPads auf den Markt kamen, schien nicht jeder von der neuen Technik überzeugt. Diese Computer sollten mit Wischen betätigt werden, mit Rütteln? Der anhaltende Tablet-Boom jedoch zeigt, dass das Bedürfnis nach mechanischen Bewegungen stark ist, sonst würdeheute nicht die gesamte Welt begeistert wischen, tippen und zoomen. Mechanik ist Teil unseres Menschseins. (Genau genommen handelt es sich bei den iPads um eine vorgetäuschte Mechanik, denn die mechanische Bewegung der Finger wird ja über elektrosensorische Elemente aufgenommen und löst nicht mehr die dem Dritten
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