Die Kultur der Reparatur (German Edition)
stark aufs Flicken und Stricken, aufs Waschen und Kochen. Erst in den letzten Jahrzehnten, im Rahmen der modernen Frauenbewegung, haben Frauen neue Spielräume gewonnen. Sie sind heute in manch kreativem Beruf federführend. Ein interessanter Nebeneffekt des frühen Feminismus war, dass der Handarbeitsunterricht in den Schulen abgeschafft wurde (ebenso wie der Werkunterricht). Handarbeitsgeschäfte waren auf einmal out und konnten sich nur noch in Nischenbereichen halten. Heute hat sich das wieder geändert – die Marke Eigenbau ist bei Kleidungsstücken längst wieder angesagt. Frauen leben heute ihre überlegenen Reparaturfähigkeiten wieder stolz aus.
Unsere Tochter kam als Kind immer gern in meine Werkstatt. Nie gab ich ihr zu verstehen, sie solle besser diese Säge oder jenen Bohrer nicht anfassen, es könnte zu gefährlich sein. Im Gegenteil. Ich ermutigte sie dazu, alles anzufassen, alle Werkzeuge, unter Anleitung, auszuprobieren. Eines Tages, sie war neun, wollte sie nicht einfach nur ein Stück Holz absägen, sondern einen Gegenstand herstellen, einen Tisch. Sie schnitt eine viereckige Platte zurecht, hatte vier Holzstäbe, die als Tischbeine dienen sollten. Von oben wurden sie mit einem Nagel befestigt. Danach stellte sie den Tisch auf seine Beine – und stellte selbstkritisch fest: „Das ist ja total unstabil. Bei der kleinsten Belastung kippt er um.“
„Und was können wir machen, damit das nicht passiert?“, fragte ich. „Wie kriegen wir den Tisch stabiler?“
„Hmm, weiß nicht.“
„Was macht den Tisch denn so wackelig?“
„Na, die Nägel.“
„Vielleicht reicht ein Nagel nicht.“
„Also gut, nehmen wir pro Holzbein zwei Nägel.“
„Zwei Nägel verhindern, dass das Tischbein sich drehen kann. Zusätzlich Leimen wäre auch nicht schlecht.“
Vorsichtig versuchte ich unserer Tochter Mechanik beizubringen, wie die Form der Funktion zu folgen hat, ohne mich zu sehr als Oberlehrer aufzuspielen – was mir hin und wieder passiert. Sie sagte daraufhin: „Papa weiß mal wieder alles.“ Ihr konnte man nichts vormachen.
„Dann kann ich dich ja auch fragen, was man tun kann, dass die Tischbeine sich nicht gegeneinander verbiegen“, gab ich ihr zu verstehen.
„Du wirst es mir gleich sagen.“
„Zwei Querstangen einziehen. Dann hat man einen stabilen Kreuztisch.“
Er wurde dann tatsächlich so stabil, dass er in unserem Haus immer noch als kleiner Beistelltisch Verwendung findet.
Die Begründerin der Repair Cafés war nicht von ungefähr eine Frau, die schon erwähnte Bloggerin Martine Postma. Sie hatte auch unter ihren Freundinnen festgestellt, dass sich immer weniger von ihnen noch in der Lage sahen, Kleidung, Bettzeug, Kinderspielzeug oder Taschen selbst zu reparieren, geschweige denn einen Toaster oder einen Haartrockner. Auch für Anja Spiegler, Designerin und Mitbegründerin von HUIJ, dem Laden im Münchner Westend, war es ein wichtiges Anliegen, gerade den Frauen wieder Techniken beizubringen, die sie für selbstverständlich hielt, die aber so gar nicht selbstverständlich sind. Als Kind war sie mit ihren Eltern oft in den Ferien im Campingbus unterwegs, da ging es gar nicht anders, da musste ständig mit Hand angelegt werden. Irgendetwas war immer wieder flott zu machen, ob am Wagen oder bei den eigenen Kleidungsstücken. Zu Hause konnte jeder mit der Nähmaschine umgehen, sodass es nur natürlich war, alte Sachen nicht einfach wegzuwerfen, sondern aufzupeppen. Und genau das hatte sie bewogen, derartige Kurse im HUIJ anzubieten. „Es ist erstaunlich“, sagt sie, „wie wenig sich Frauen zutrauen. Und dann doch können.“
In meinen Experimentalphysiklabors stelle ich übrigens keinen Unterschied zwischen Studentinnen und Studenten fest, wenn es darum geht, Geräte aufzubauen oder defekte elektrische oder mechanische Anlagenteile zu reparieren. Wer als Mädchen Experimentalphysik studiert, hat das Reparaturgen genauso wie die männlichen Kommilitonen, das ist meine Erfahrung, wenngleich allerdings die Zahlen nicht ausgeglichen sind.
Ich denke aber, dass sich auch im Zeichen einer erstarkenden Kultur der Reparatur alte Rollenklischees zunehmend überholt haben werden. In meiner Jugend war das noch anders, da spielten Jungen mit Autos und Bauklötzchen, Mädchen mit Puppen und Puppenstuben. Die Besucherstatistik des Deutschen Museums zeigt jedoch ein klares Bild: Bei Kindern und Jugendlichen sind die Anteile von Jungen und Mädchen gleich groß –was natürlich auch
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