Die Kunst, anders zu leben
außenstehende Beobachter ihr immer wieder stellen, lautet, warum sie eigentlich keine Angst davor hat, so viele neue Dinge auszuprobieren. War es denn zum Beispiel nicht beängstigend, als völlig Fremde nach Asien zu kommen und auf den Müllhalden von Manila zu arbeiten?
Der größte Fehler, den man im Leben machen kann, besteht darin, dass man ständig Angst davor hat, Fehler zu machen.
ELBERT HUBBARD
Lassen wir Sloane selbst zu Wort kommen. Was hat sie zum Thema Angst zu sagen?
Ich habe jeden Tag Angst. Angst, die Leute könnten denken, dass ich das alles aus den falschen Gründen tue. Angst, weil ich ständig auf Achse bin und deshalb die Chance verpassen könnte, mich irgendwo niederzulassen und eine Familie zu gründen. Angst davor, dass einem Menschen, den ich liebe, irgendetwas zustoßen könnte und ich dann vielleicht zu weit weg bin, um ihn zu erreichen. Angst davor, für einen Menschen, der mich braucht, nicht da sein zu können.
Aber mir ist auch klar geworden, dass Angst etwas ganz Normales ist. Wenn ich vor einer großen Unternehmung überhaupt kein mulmiges Gefühl hätte, dann wäre es wahrscheinlich irgendwie doch nicht das Richtige. Angst ist ein starker Motivator, also verwandle ich sie einfach in etwas Positives. Wenn man Angst hat, nimmt man alles viel intensiver wahr. Ich nutze diese Angst, um meine Gabe der Intuition zu schärfen. Ich bin oft allein in Ländern und Situationen, in denen die Leute, die ich von zu Hause her kenne, sich nicht wohlfühlen würden; trotzdem passiert mir nichts Schlimmes. Warum? Weil ich vernünftige Entscheidungen treffe, aber auch, weil ich meine fünf Sinne gebrauche und darauf vertraue, dass die Angst sich schon melden wird, wenn es wirklich etwas gibt, wovor ich mich fürchten muss.
Das finde ich sehr gut formuliert. Natürlich wünsche ich Lance Armstrong auch den Sieg, wenn er mit seinem Fahrrad die Pyrenäen hochstrampelt. Ich finde es faszinierend, wie Dean Karnazes ganz allein einen 320-Kilometer-Staffellauf bewältigte, und ich sehe auch gerne dabei zu, wie Michael Phelps einen Schwimmrekord nach dem anderen bricht. Aber irgendwie fällt es einem schwer, sich in solche Leute hineinzuversetzen. Das erinnert mich an die Geschichte, die eine Stewardess mir einmal erzählt hat: Sie musste auf einem Flug Brad Pitt bedienen. Natürlich reiste Brad nicht allein: Eine Reihe vor ihm saß seine persönliche Assistentin, links und rechts wurde er von jeweils einem Bodyguard bewacht. Die Assistentin gab alle seine Bestellungen und sonstigen Wünsche an die Stewardess weiter und hatte sogar ihr eigenes Besteck dabei, um Brads Essen vorzukosten, bevor es ihm serviert wurde.
»Er war so nett!«, schwärmte die Stewardess mir hinterher vor. »Ein ganz normaler Mensch wie du und ich.« Das fand ich ein bisschen paradox – Brad Pitt mag ja wirklich ein netter Kerl sein, aber die meisten »ganz normalen Menschen«, die ich kenne, reisen nicht mit zwei Leibwächtern und einem Vorkoster durch die Gegend. Leute, die sich mit Scharen von Personal umgeben oder ganz allein einen 320-Kilometer-Staffellauf bewältigen, sind so meilenweit von uns entfernt, dass es uns schwerfällt, unser Leben mit ihrem zu vergleichen.
Ich weiß nicht, ob es so etwas wie totale Furchtlosigkeit gibt; zumindest ist mir diese Eigenschaft noch bei keinem Menschen begegnet. Als ich Sloanes Geschichte hörte, fragte ich mich als Allererstes: »Wie ist sie von Pittsburgh auf die Philippinen gekommen?« Damit meine ich: Wie überwindet jemand die Angst, die schließlich alle Menschen haben, um etwas zu tun, wozu so viel Mut gehört? Sloane war keineswegs ein furchtloser Mensch; sie hatte einfach nur einen Weg gefunden, ihre Angst zu akzeptieren und sich diese Angst für etwas zunutze zu machen, was ihr wichtiger war.
Wer sich entscheidet, den Konventionen zu trotzen, der wird allen möglichen Leuten begegnen, denen diese Entscheidung nicht gefällt, weil sie etwas dagegen haben, wenn jemand seinen eigenen Weg geht. Doch wenn Sie mutig und gut vorbereitet sind, werden Sie in der Regel schon eine Möglichkeit finden, solchen Leuten die Stirn zu bieten. Manchmal kann man sie auch einfach ignorieren.
Eine Vorwarnung will ich Ihnen trotzdem mit auf den Weg geben: Unsere ärgsten Hindernisse erwachsen häufig aus unseren eigenen Ängsten und Unsicherheiten. Also sollten Sie lieber erst einmal versuchen, diese Probleme in den Griff zu bekommen, bevor Sie sich Gedanken über andere Leute machen. Wenn
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