Die Kunst, anders zu leben
Sean und Aaron
Die Überschwemmung meiner Wohnung hatte mich gezwungen, über eine Veränderung nachzudenken. Es gibt aber auch Situationen, in denen wir mehr Entscheidungsfreiheit haben. Da ich die meiste Zeit meines Lebens selbstständig war, fragen mich viele Menschen, wie sie mehr Kontrolle über ihr Leben erlangen können, indem sie ein Unternehmen gründen oder irgendeine andere unkonventionelle berufliche Laufbahn einschlagen.
Bei diesen Gesprächen habe ich schon Leute aus allen möglichen sozialen Schichten und Berufsgruppen kennengelernt: Studenten, Ingenieure, Journalisten, Künstler und Vermögensverwalter, um nur ein paar zu nennen. Alle hatten Interesse an einem unkonventionellen beruflichen Leben. Aber es gab auch Unterschiede zwischen ihnen: Nicht alle waren sich ihrer »stillen Verzweiflung« gleichermaßen bewusst. Manche betrachteten berufliche Selbstständigkeit lediglich als interessante Möglichkeit, während andere alles dafür getan hätten, um diesem Ziel näher zu kommen. Anders ausgedrückt: Manche dieser Leute waren bereit, die mit einer Veränderung verbundene Unsicherheit auf sich zu nehmen, andere nicht.
Ich möchte Ihnen diesen wichtigen Unterschied an zwei Geschichten verdeutlichen. Zwar handelt es sich dabei um wahre Begebenheiten, doch die Verhaltensmuster, die man darin erkennt, sind allgemeingültig, denn sie wiederholen sich immer wieder.
GESCHICHTE NUMMER 1: SEAN
Normalerweise sehnen diejenigen Menschen, die innerlich zu einer Veränderung bereit sind, sich am allermeisten danach. Sie wollen aus ihrer aktuellen Situation entfliehen – und zwar lieber gestern als heute. Einer dieser Leute war Sean Ogle. Sean war erst 23 Jahre alt und arbeitete bereits seit über einem Jahr in seiner ersten »richtigen« Stellung als Finanzanalyst. Mit einer Mischung aus Intelligenz, Fleiß und der Fähigkeit, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, hatte er es zu einer Position gebracht, die eine Stufe höher lag als die üblichen Einstiegsjobs, die man als Universitätsabgänger bekommt.
Sean verdiente mehr Geld als die meisten Leute in seinem Alter. Nachdem er seine neue Stelle angetreten hatte, gönnte er sich die erste größere Anschaffung seines Lebens: einen 2005 Subaru Legacy GT. Dieser junge Mann hatte nur ein einziges Problem: Er hasste seine Arbeit. Jeden Tag saß er in seinem kleinen Büro, starrte die Wände an und wünschte sich, er wäre irgendwo anders. Von dem restlichen Geld, das er nach der Anschaffung seines Autos noch auf dem Konto hatte, machte Sean gemeinsam mit einem Freund eine Reise nach Brasilien. Diese Reise brachte eine große Veränderung in sein Leben. Brasilien und alles, was dieses Land für ihn symbolisierte, fand er gut. Der Schreibtischjob in seiner Heimat dagegen war schlecht. »Eigentlich«, erklärte Sean mir bei unserem ersten Treffen mit entschlossenem Gesichtsausdruck, »würde ich alles tun, um aus dieser Situation herauszukommen.«
Wir unterhielten uns eine Weile, und ich gab ihm eine lange Liste mit Internetadressen. »Werden Sie denn Zeit haben, sich diese Webseiten demnächst anzusehen?«, fragte ich ihn.
»Zeit? Sie machen wohl Witze«, erwiderte er. »Ich werde mich gleich heute Nachmittag in meine Recherchen stürzen. Und wenn es sein muss, bleibe ich eben bis Mitternacht auf.«
Als wir unser Café verließen, kamen wir an seinem Subaru vorbei. »Schönes Auto«, sagte ich.
»Ja, es ist wirklich schön«, stimmte Sean mir zu. »Aber ich werde es trotzdem verkaufen. Dieses Auto bringt mich meinen Zielen keinen Schritt näher.«
Das klang, als meine er es ziemlich ernst, und ich war beinahe überzeugt davon, dass er tatsächlich etwas an seinem Leben verändern würde. Der einzige Zweifel in meinem Hinterkopf rührte von der Erinnerung her, dass ich das Gleiche schon einmal gehört hatte. Ich werde Ihnen gleich erzählen, wie Seans Geschichte ausgegangen ist – aber zuerst möchte ich von Aaron berichten.
GESCHICHTE NUMMER 2: AARON
Als Jolie und ich in Westafrika lebten, reisten wir einmal pro Jahr in die Vereinigten Staaten, um Freunde und Angehörige zu besuchen. Während dieser Reisen hielten wir bei verschiedenen Veranstaltungen Vorträge, um Spenden zu sammeln und den Menschen die Wichtigkeit unserer Arbeit in Afrika bewusst zu machen. Nach unserem letzten Vortrag bei einem dieser »Heimaturlaube« kam ein junger Mann auf mich zu. Er war an einer ehrenamtlichen Tätigkeit in Afrika interessiert und wollte sich deshalb später
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