Die Kunst, anders zu leben
unserer Wohnung hatten sie das Bett zerlegt und die Einzelteile ins Wohnzimmer transportiert – zusammen mit unserer Kleidung und allen anderen Gegenständen, die sich vorher in unserem Schlafzimmer befunden hatten. Auch die Auslegeware im Schlafzimmer und im Korridor war herausgerissen, sodass uns bei unserer Ankunft der kahle, harte Boden willkommen hieß – mit einem großzügigen Aufgebot an Nägeln, die nur darauf warteten, dass wir in sie hineintraten.
Anfangs ärgerte ich mich darüber, doch dann beschloss ich, zu akzeptieren, dass das alles schließlich nur ein Unglücksfall war, und davon auszugehen, dass alle an der Wiederinstandsetzung unserer Wohnung beteiligten Personen ihr Bestes taten. In dem Glauben, dass es sich nur um ein bis zwei Nächte handeln würde, bezogen wir eine notdürftige Schlafstätte in unserem Wohnzimmer. Doch aus den ein bis zwei Nächten wurde zuerst eine Woche, dann zwei Wochen und schließlich fast ein ganzer Monat. Während dieser Zeit schliefen wir auf einer Matratze im Wohnzimmer – eine Situation, die wir in einem verzweifelten Versuch, die Sache positiv zu sehen, als »urbanes Camping« bezeichneten.
Während dieser Zeit, in der ich aus meinem Schlafzimmer ausquartiert war, lernte ich etwas sehr Wichtiges: Je mehr Versicherungsgesellschaften an einem Projekt beteiligt sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass keine davon für irgendetwas die Verantwortung übernimmt. Alle Versicherungsvertreter, mit denen wir sprachen, waren sich darüber einig, dass der Schaden in unserer Wohnung ohne unser Verschulden entstanden war, doch keine Versicherung war bereit, die Kosten dafür zu übernehmen, dass wir während der Reparaturarbeiten irgendwo anders untergebracht wurden.
Im Laufe dieser Wochen erlebte ich einen wachsenden Konflikt zwischen zwei gleichermaßen unschönen Alternativen. Es machte keinen Spaß, im Wohnzimmer zu schlafen und unseren Tagesablauf ständig auf die Arbeit mehrerer Reparaturteams abzustimmen. Und nachdem diese Arbeiten zehn Tage lang kaum Fortschritte gemacht hatten, begann ich schließlich doch über einen Umzug nachzudenken, obwohl mir das fast ebenso unangenehm erschien. Wir hatten bis dahin über zwei Jahre glücklich und zufrieden in dieser Wohnung gelebt, aber die neue Situation brachte uns wirklich an die Grenze unserer Belastbarkeit.
Als ich wegen einer Geschäftsreise einmal auswärts übernachten musste, rief Jolie mich abends um elf Uhr an und teilte mir mit, dass wir kein fließendes Wasser mehr hatten. Nach ein paar spannungsgeladenen Telefonaten mit unserem Vermieter und dem Bauleiter wussten wir immer noch nicht, was eigentlich los war. Vielleicht würde das Wasser am nächsten Vormittag wieder angeschaltet werden – vielleicht aber auch erst in zwei Wochen. Wer wusste das schon? Zwischen den Zeilen gab man uns zu verstehen, dass wir für unser nicht mehr besonders schönes Appartement und die Matratze auf dem Wohnzimmerfußboden eigentlich noch dankbar sein mussten.
Diese Nachricht brachte das Fass endgültig zum Überlaufen. Mit »urbanem Camping« und unredlichen Versicherungsgesellschaften konnte ich mich zur Not noch abfinden, aber auf unbestimmte Zeit ohne Wasser zu leben, dazu war ich nicht bereit. In diesem Augenblick wurde der Schmerz des Verharrens in der gegenwärtigen Situation stärker als der Schmerz, den es mir bereiten würde, etwas daran zu verändern. Jetzt war ich bereit zu einem Umzug. Jolie war einverstanden, und wir begannen uns sofort nach einem neuen Zuhause umzusehen.
Knapp drei Wochen später war es so weit: Wir bezogen unser neues Zuhause in Portland, Oregon, ein paar Stunden südlich von Seattle. Zwar hatten wir eigentlich gar nicht in einen anderen Bundesstaat ziehen wollen, doch da wir beide in beruflicher Hinsicht flexibel waren, kamen wir zu dem Entschluss, dass eine Übersiedelung in einen anderen Staat uns nicht viel mehr Mühe kosten würde als ein Umzug innerhalb von Seattle. Wir hatten uns schon seit einiger Zeit für Portland interessiert und machten uns unsere aktuelle missliche Situation (eine überschwemmte Wohnung) jetzt zunutze, um dorthin zu ziehen. Ich bin froh, dass wir uns zu dieser Veränderung aufgerafft haben, doch wenn unsere Wohnungssituation in Seattle sich nicht zu so einer Katastrophe ausgewachsen hätte, sondern einfach nur unangenehm geblieben wäre, hätten wir es mit Sicherheit nie geschafft.
Wie man seine Ängste überwindet: Die »Zwillingsgeschichte« von
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