Die Kunst, anders zu leben
Sie tatsächlich zu den seltenen Menschen gehören, die sich vor gar nichts fürchten, und sich begeistert in jeden inneren Wandlungsprozess hineinstürzen, können Sie dieses Kapitel getrost überspringen und erst beim nächsten Kapitel weiterlesen. Doch wenn Sie so sind wie die meisten Menschen auf diesem Planeten, sollten Sie die folgenden Informationen sehr ernst nehmen.
Wovor haben wir eigentlich so große Angst?
Angst beginnt mit einer vagen Sorge, einer Stimme in Ihrem Hinterkopf, die Ihnen einredet, dass Sie nicht gut genug sind, dass Sie nichts Großes oder Bedeutsames zustande bringen werden und daher ebenso gut gleich die Flinte ins Korn werfen können – es wird Ihnen sowieso nicht gelingen, sich von der großen Masse der Menschen abzuheben. »Wer bist du denn schon?«, lautet die Botschaft, die dahintersteckt.
Oft hören wir in Gedanken, wie ein anderer Mensch das zu uns sagt – vielleicht jemand, der uns vor langer Zeit einmal gekränkt hat, oder eine negative Person, die in unserem Leben auch heute noch eine Rolle spielt. Diese inneren Stimmen sind zwar nicht völlig irrelevant – Missachtungen und Kränkungen vonseiten unserer lieben Mitmenschen können uns ganz schön zu schaffen machen –, sie können aber auch erst durch unsere eigene Unsicherheit entstehen oder zumindest dadurch verstärkt werden. Da die größten Hindernisse, mit denen wir zu kämpfen haben, häufig aus unserem eigenen Inneren kommen, müssen wir uns mit diesen Problemen zuallererst befassen.
Wenn wir uns wirklich ernsthaft mit unseren eigenen Unsicherheiten auseinandersetzen, stellen wir normalerweise fest, dass uns drei Ängste plagen: Angst vor Misserfolg, Angst vor Erfolg und Angst vor Veränderungen. Die letztere Angst ist am allergrößten. Wenn wir einen großen Sprung wagen, wissen wir, dass unser Leben hinterher wahrscheinlich anders sein wird als vorher – egal, was passiert. Viele Menschen fürchten sich vor diesem Sprung.
Tue stets das, wovor du Angst hast.
RALPH WALDO EMERSON
Normalerweise wehren wir uns so lange gegen eine Veränderung, bis der damit verbundene Schmerz geringer ist als der Schmerz, den es uns bereiten würde, weiter in unserer gegenwärtigen Situation zu leben. Deshalb behalten inkompetente oder gar feindselige Mitarbeiter ihren Job oft viel länger, als sie eigentlich sollten – weil ihre Vorgesetzten den Aufwand scheuen, nach einem Ersatz für das schwarze Schaf zu suchen. Aus dem gleichen Grund akzeptieren Menschen alle möglichen unproduktiven oder gar schädlichen Situationen: von Jobs, die sie ihre ganze Energie kosten, ohne dass viel Produktives dabei herauskommt, bis hin zu zerrütteten Beziehungen. Dieser Teufelskreis lässt sich nur durchbrechen, wenn die Angst vor dem Unbekannten geringer wird als das halbherzige Akzeptieren der momentanen Situation. Und das kann man auf zwei verschiedenen Wegen erreichen:
Man kann das Schmerzhafte der bestehenden Situation verstärken.
Man kann seine Angst vor der gewünschten Situation abbauen.
Nicht immer haben wir die Wahl zwischen diesen beiden Optionen. Ich will Ihnen dazu eine Situation schildern, die ich als »Augenblick der Wasserscheide« bezeichne – warum, das werden Sie gleich sehen.
Die große Wohnungskatastrophe des Jahres 2008
Ich reise gerne; der Stress und der logistische Aufwand, den so viele Leute beim Reisen als lästig empfinden, macht mir nichts aus. Verspätete Flugzeuge, absurde Sicherheitskontrollen, lange Busfahrten – fast alles stecke ich mit einem freundlichen Lächeln weg. Aber ich hasse Umzüge . Mir gefällt nichts daran – vom ersten bis zum letzten Schritt. Schon vorher habe ich Gewissensbisse, weil ich zu viele Sachen besitze. Außerdem packe ich nicht gerne Umzugskartons, lasse nur ungern Dinge zurück, will aber andererseits auch nicht alles mitnehmen. Und am Umzugstag selbst entwickle ich mich bis zur niedrigsten Evolutionsstufe der Menschheit zurück: Ich staple Kisten im Umzugswagen auf. Zu mehr bin ich in diesem Stadium nicht mehr fähig.
Im Dezember vor ein paar Jahren machten Jolie und ich bei der Rückkehr von einer Urlaubsreise eine furchtbare Entdeckung: Wegen eines Wasserrohrbruchs in einem benachbarten Appartement war unsere Wohnung überschwemmt. Der Wasserrohrbruch hatte sich während der Feiertage ereignet und war daher erst nach ein paar Tagen bemerkt worden. Während unserer Abwesenheit hatten Mitarbeiter eines Notfall-Reparaturdiensts beide Wohnungen aufgebrochen. In
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