Die Kunst des guten Beendens
für die weitere Entwicklung genutzt werden.
Die Kunst des Beendens in Beziehungen bedeutet, aus einem Glück oder Unglück auszusteigen. Es weist hin auf die Möglichkeit eines eigenen, persönlich geprägten, selbstgestalteten Lebens, auf einen eigenen Lebensentwurf, der gelebt werden will – so wie darauf, Ballast abzuwerfen und einige Sicherheiten aufzugeben, weil sie das Leben ersticken. Eine Beziehung bleibt so lange sinnvoll, wie sie für alle Beteiligten Wachstumschancen bietet.
Fast zu jedem menschlichen Leben gehören existentielle Krisen, Verletzungen und Kränkungen: lebensbedrohende Krankheiten, Unfälle, die Verluste von nahen Menschen, Krisen des mittleren Lebens, körperlicher und geistiger Abbauder späten Jahre, Trennungen, Scheidungen. Sowohl die Persönlichkeit als auch der kulturelle und gesellschaftliche Hintergrund formen die Art des Umgangs mit diesen Krisen. Das wahre existentielle Dilemma, die menschliche und tief subjektive Erfahrung des Menschen aus Fleisch und Blut, mit Herz, Geist und Seele, will angemessen gewürdigt und beschrieben werden. Die Kunst des Beendens gehört unabdingbar dazu.
Die Kunst des Beendens weist auf einen Lebensbogen hin, der Trennung und Bindung umfasst. Bindung hat mit Liebe zu tun: Liebe in den unzähligen Ausformungen von Zärtlichkeit, Verbundenheit, Sexualität, Hingabe, Begehren, Freundschaft, Selbstliebe, Leidenschaft. Bei Bindung sind wir geneigt, positive, lustvolle und tröstliche Aspekte im Sinn zu haben. Bei der Trennung überwiegen oft Angst und Schmerz.
Trennung verweist, wie die Liebe, auf die Anfänge und auf das Ende unseres Lebens.
Trennungsängste ziehen sich in unterschiedlichen Ausformungen und Intensitäten durch unser ganzes Leben, von der Geburtsangst bis zur Todesangst. Trennungsängste wirken mit im Kampf gegen die Vergänglichkeit, im Zeugen, Gebären und Aufziehen der nächsten Generation, im Wunsch nach Ewigkeit, der sich oft im Schaffen von Kunstwerken manifestiert. Trennungsängste haben zur Gründung von Religionen aller Ausprägungen geführt, die die Ängste auffangen und Wiedervereinigung oder Wiederkommen in Aussicht stellen.
Loslassen ist seit Jahren ein sehr beliebter, häufig gebrauchter Begriff. Loslassen von negativen Gedanken, von Spannung und Stress, Loslassen von negativen Beziehungen. Loslassen, geht das einfach so, wie man etwas fallen lässt, was man in der Hand hält? Loslassen – fallen lassen? Aber wie denn? Lassen wir einen Gedanken los oder lässt er uns los? Wenn wir einem Gedanken mit Verständnis begegnen und wenn wir ihn prüfen, dann lässt er uns bei ausreichender Geduld und Übung los. Es ist wie beim Beenden: auch das Loslassen bedarf der Zuwendung und Bearbeitung.
Die Kunst des Beendens macht es möglich, dass Bindungen und Trennungen eine Gestalt erhalten. Sie zeigt uns, dass wir in gewissen Lebenssituationen – an einer Kreuzung, wo verschiedene Wege in unterschiedliche Richtungen gehen – eine Wahl haben. Wählen können ist ein großes Privileg. Dazu gehört, eine Beziehung, eine Verpflichtung, eine Aufgabe äußerlich und innerlich zu beenden, abzuschließen, sich zu trennen, zu lösen, loszulassen: und gleichzeitig, und das ist ganz wichtig, die Erinnerung an das Gehabte und Erhaltene, Verschwendete und Gegebene – nach Abschluss der Abschieds- und Trauerphase – für das eigene Leben zu bejahen und zu nutzen. Wir lernen ein Leben lang zu beenden, um immer wieder neu zu beginnen und uns neu binden zu können. Es werden intuitive Fähigkeiten wach, die über das Beenden hinausreichen und das zu Beendende gleichzeitig voll und ganz zu würdigen wissen. Es geht um eine eigene Wahrheit, um derentwillen etwas beendet werden soll, damit etwas Neues möglich wird.
Positiv Erlebtes beenden
Ist ein Fest schöner, weil es länger ist?
Paula Modersohn-Becker
Wünscht man sich, dass ein schönes Fest nie aufhört? Schließt man freiwillig etwas ab, das einem als positiv erscheint, das einen belebt und bereichert, das einem gehört? Schneidet man sich damit den Lebensnerv durch oder tut man sich etwas Gutes? Beraubt man sich aus freiem Willen einer Freude, eines Genusses, einer Bereicherung – weil es genug ist?
Es gibt diese Situationen, in denen jemand durchaus auch eine Beziehung zu einem Menschen, zu einer Arbeit, zu einem Haus, zu etwas, das als wachstumsfördernd und sinnvoll erlebt wird, beendet – ohne sich den Lebensnerv zu durchschneiden, nein, um frei zu werden.
Der Zwang bzw.
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