Die Kunst des guten Beendens
die Einsicht, etwas positiv Erlebtes zu beenden, stellt sich – in der Regel – in Psychotherapien und Psychoanalysen. Davon wird im nächsten Abschnitt die Rede sein. Eine Psychotherapie und ihr Ende können als Prototyp eines Beendens betrachtet werden, bei dem aus Lernen und Sich-Entfalten innerhalb einer Beziehung ein unabhängiges, selbständiges Lernen wird, wo sich durchaus eine Dankbarkeit über das Erlebte einstellen kann. Und eine Erleichterung, jetzt den Weg selbst zu gehen.
Psychotherapie und ihr Ende
Es gibt heilende Verfahren, die von Beginn an auf ein Ende angelegt sind. Das Beenden ist während des gesamten Prozesses ausgesprochen oder unausgesprochen gegenwärtig – so wie der Tod unausweichlich zum Leben gehört. Es kann eine lange Zeit dauern, bis dieses Beenden zum Thema wird. Dieser Prozess braucht seine Zeit. Das bewusste, reflektierte Abschließen ist höchst wichtig, weil etwas anderes, Neues angestrebt wird, das sich von den bisherigen Beendigungen im Leben unterscheidet.
Beenden weckt unabdinglich Trennungsängste. Sie zeigen sich bereits während des therapeutischen Prozesses in verschiedenen Formen: So sind Angst, Eifersucht, Neid, Ohnmacht und Wut unterschiedliche Ausprägungen der Trennungsangst. Es werden Stunden vergessen, kurzfristig abgesagt, man kommt verspätet, vergisst, das Honorar zu bezahlen, oder irrt sich bei der Summe – auch wenn es für solche Fehlleistungen meistens triftige Gründe zu geben scheint, spielt doch die Trennungsangst immer auch eine Rolle. Es sind Versuche, Kontrolle zu gewinnen oder sich allenfalls für etwas, das im Prozess geschehen ist, unbewusst an der Analytikerin, am Analytiker zu rächen.
Pascal erzählt: »In den Jahren meiner Psychoanalyse war ich immer wieder damit konfrontiert, wie ich in meinem bisherigen Leben aus Beziehungen weggegangen war. Ich hatte immerjeweils abrupt Freundinnen und Freunde verlassen. Ich war Hals über Kopf und mit einer großen Wut im Bauch aus meinem Elternhaus geflohen. In meiner ersten Ehe hatte ich es zehn Jahre ausgehalten, um mich dann auf Nimmerwiedersehen zu verabschieden. Es waren allesamt Abbrüche gewesen, keine Abschiede, und die Abbrüche waren vollständig und irreversibel. Es war mir auch nie möglich gewesen, eine Liebesbeziehung in eine Freundschaft oder eine Freundschaft in eine Kollegenschaft zu verwandeln. Manchmal beneidete ich Freunde darum, dass sie das konnten. Mir war es nicht möglich, denn ich war jeweils zu gekränkt und zu verletzt. Ich hatte jeweils zu lang gewartet und ausgeharrt, und ich hatte zu wenig gesprochen. Ich hatte mich versteckt, wenn Probleme auftauchten, und dann war ich abgehauen.
Ich war froh, in meiner Psychoanalyse über alle diese Abbrüche zu reden. Es war schwierig, jeweils so, wie ich mir eine schmerzvolle Geburt vorstelle, aber es war immer wieder möglich. Nun war ich beim Thema meiner existentiellen Ängste angelangt. Ich hatte Angst vor dem Leben und Angst vor dem Tod. Und nun sagte mir meine Analytikerin mehr als einmal, dass in diesen Ängsten meine Weisheit und meine Erfüllung verborgen seien.
Im fünften Jahr musste ich eine große Krise, den Unfalltod eines Freundes, allein bewältigen. Ich weilte mit ihm und anderen in langen Ferien und war weit weg. So musste ich diesen Verlust ohne meine Analytikerin bewältigen. Erstmals konnte ich mir vorstellen, wie es nach Abschluss der Analyse sein könnte. Ich als passionierter Surfer erlebte auf dem Surfbrett der Psychoanalyse ein neues, faszinierendes Gefühl: ich stand auf dem Brett und spielte mit den Wellen. Ich holte mir den Schwung aus dem Erfassen der Wellen und glitt mit einem Gefühl, das Freiheit verhieß, über das Wasser dahin. Ich spürte die Herausforderung, meine Waghalsigkeit und meinen euphorischen Übermut, die mir danach, auf der Couch, wieder abhanden kamen.
Doch ich fasste nun langsam ein Ende meiner Analyse ins Auge. Es tat gut, in den Stunden darüber zu sprechen. Ichkonnte jetzt besser Abschied nehmen als früher, das heißt, ich konnte überhaupt Abschied nehmen, ich musste nicht fliehen wie bisher. Ich konnte mir vorstellen, wie es danach sein könnte – auf dem Surfbrett meines eigenen Lebens.
Wir vereinbarten in der Analyse ein Abschlussdatum in fünf Monaten. Ich hatte in diesen Monaten viele somatische Probleme: Angstanfälle mit Herzrasen, tagelangen Durchfall, oft auch eine große Verlorenheit und Mutlosigkeit. Es folgten intensive Trauerphasen, in denen ich begann, den
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