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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Ley
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verstehen? Reicht ein »Es ist genug« dazu, um etwas zu beenden? Unter welchen Umständen könnte ein »Es ist genug« zu einem sinnvollen Beenden führen?
    Es gibt im Leben tatsächlich Beispiele dafür, dass ein Mensch auch Beziehungen zu einem Menschen oder einer Sache, die ihm ganz wichtig sind, beendet. Das mag paradox klingen. Es stellen sich dabei Fragen: Welches sind die Beweggründe? Wie wird beendet? Ist es eine äußerliche oder eine innerliche Beendigung? Kann es beides sein? Was bedeutet »wichtig sein«?
    Serena erzählt: »Mein Mann und ich haben uns im Laufe unseres Familienlebens ein kleines Chalet in einem Bergdorf erworben. Wir verbrachten fast alle unsere Ferien dort, sahen unsere Kinder dort aufwachsen, und wir waren immer sehr glücklich in diesem Dorf, auch mit den dortigen Menschen. Als mein Mann und ich uns trennten, beschlossen wir, das Chalet gemeinsam zu behalten und abwechselnd zu benutzen. Auch unsere Kinder sollten die Möglichkeit haben, weiterhin dort Ferien zu machen.
    Über zehn Jahre war es für mich eine gute Lösung. Es war auch schön zu erleben, wie die Dorfbevölkerung uns weiterhin akzeptierte, auch dann, als wir beide uns mit neuen Partnern im Chalet aufhielten. Unsere Kinder schätzten die Möglichkeit, dort weiterhin Wochenenden und Ferien zu verbringen. Mein früherer Mann hatte immer sehr viel für das Chalet gemacht wurde zunehmend aktiver. Oft kam ich in den letzten Jahren hinauf und sah, was er wieder drinnen und draußen verändert hatte – ohne mich zu fragen und ohne mich zu informieren. Ich begann mich fremd zu fühlen. Ich fühlte mich übergangen und ärgerte mich immer wieder maßlos darüber, dass mir nicht selbstverständlich der Respekt entgegengebracht wurde, den ich erwartet hätte. Das war natürlich ein altes Thema aus unserer ehelichen Beziehung. Nun war ich wieder damit konfrontiert. Und doch war es weiterhin einzigartig schön, dort oben in den Bergen am vertrauten Ort zu weilen, die Berge zu besteigen, im Bach zu baden und mit den dortigen Menschen zu plaudern. Es war eine Heimat für mich. Ich konnte mir nicht vorstellen, ohne diesen vertrauten und lieben Ort zu leben.
    Es dauerte ein, zwei, drei Jahre, bis ich mich mit dem Gedanken anzufreunden begann, dieses kleine Paradies aufzugeben. Doch es fiel mir schwer, mir ein Leben ohne diesen schönen Ort, ohne dieses geliebte Chalet, ohne die Menschen hier vorzustellen. Als ich dann einer Freundin erzählte, was ich alles diesem Ort und diesen Menschen verdankte, was ich erfahren und gelernt, genossen und ausgekostet hatte, ja, als mir dieser Reichtum und diese Fülle bewusst wurden, da erkannte ich, dass ich mich von diesem Ort verabschieden konnte. Ich trug ihn in meinem Herzen, ich fühlte Dankbarkeit und gelegentlich spürte ich schon ein bisschen Lust, meine Ferien wieder einmal an einem anderen Ort zu verbringen. Würde mein früherer Mann diesen Ort weiterhin halten können? Mir wurde bewusst, dass das nicht mein Problem sein konnte, zumal er nie verstehen konnte, dass mir seine ständigen Veränderungen Probleme bereiteten.
    In den weiteren Ferien im Chalet wuchs mein Wunsch – jetzt war es ein Wunsch geworden –, mich aus diesem gemeinsamenProjekt zu verabschieden. Es war genug – ich hatte so viel Schönes und auch weniger Schönes erlebt, dass es Zeit war, zu gehen. Es war mein freier Wille, meine eigene Entscheidung, und dies erfüllte mich mit Erleichterung.
    Meiner Ankündigung folgten schwierige Phasen des Verhandelns. Doch schließlich wurde klar, dass und wie ich mich zurückziehen konnte. Wir hatten einen guten Kompromiss ausgearbeitet. Nun kamen meine letzten Ferien an diesem Ort, in diesem Haus, in diesem Dorf. Ich hatte mich von allem zu verabschieden. Ich fühlte mich offen für alles, was auf mich zukommen würde. Eine sehr liebe Nachbarin aus dem Dorf starb in meiner letzten Ferienwoche, und ich hatte von ihr auf meine Weise Abschied nehmen können. Es wurde danach ein glücklicher, erfüllter und ganz leise auch ein wehmütiger Abschied von diesem Flecken Heimat. Der Abschied erinnert mich noch heute an den Auszug der Kinder aus dem Familienhaushalt: auch dort hatten sich Wehmut und Freude gepaart. Etwas war für immer verloren. Und etwas Neues konnte beginnen. Auf diese Weise möchte ich einmal mein Leben beenden können.«
    Dies ist ein einzigartiges Beispiel für einen Abschied im richtigen Moment. Serena berichtet von der Kunst, ein Projekt im richtigen Augenblick zu

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