Die Kunst des guten Beendens
nach vielen schmerzlichen Erfahrungen und Wiederholungen. Psychoanalytische Verfahren sind eine exzellente Möglichkeit, durch die Bearbeitung von Abwehr und Widerstand die unbewussten Wünsche ans Tageslicht zu bringen und zu erkennen. Doch auch Menschen, die eine Psychoanalyse hinter sich haben, tragen in der sogenannten Restneurose weiterhin unbewusste Wünsche mit sich, die es zu erkennen und zu bearbeiten gibt. Es ist eine lebenslange Arbeit, die erst mit dem Tod zu Ende geht.
Wozu? Wenn anstatt der Warum-Frage nach dem Wozu gefragt wird, dann wird klar, dass es einen Sinn zu erkennen gibt. Dass möglicherweise etwas Neues gelernt werden kann. Darum geht es.
Der Bestseller mit dem erfrischend provozierenden Titel Liebe dich selbst – und es ist egal, wen du heiratest trifft – und verpasst – diese Erkenntnis. 8 Der Titel trifft dort, wo es in jeder Liebe grundsätzlich darum geht, sich selbst lieben zu können, um einen anderen Menschen lieben zu können. Eine Beziehung kann beendet werden, weil die Selbstliebe nicht ausreicht, um den anderen zu lieben. In einem solchen Fall ist der Wiederholungszwang naheliegend. Mit »und es ist egal« verpasst der Titel die Tatsache, dass mit einem neuen Partner tatsächlich weitere Möglichkeiten der eigenen und der gemeinsamen Entwicklung genutzt werden können. Jeder Mensch – das betrifft auch freundschaftliche und familiäreBeziehungen – stimuliert in einer Begegnung im anderen neue und manchmal ungeahnte Möglichkeiten: es gibt andere Diskussionen, man hört andere Musik, die Sexualität ist anders, der Alltag gestaltet sich unterschiedlich – und so weiter.
Eine Frau, die gerade die dritte Scheidung durchlebt, erzählt: »Letztlich habe ich in jedem meiner drei Ehemänner gewisse Wesenszüge meiner Eltern wiedergefunden, die mir schon in meiner Kind- und Jugendzeit schwer zu schaffen gemacht haben. Es war mir nie möglich, dies rechtzeitig zu erkennen und auf eine neue Art darauf zu reagieren. Das nehme ich auf mich. Möglicherweise hat es auch mit meinen Gefühlen und Handlungen zu tun. Ich bereue nichts. Ich habe mit jedem Mann eine neue Welt entdeckt. Dafür bin ich dankbar. Dass ich mich nun ein drittes Mal scheiden lasse, hängt damit zusammen, dass ich zu keinem weiteren Leiden mit einem Partner bereit bin. Ich übernehme die Verantwortung für das, was mir möglich war, und für das, was ich nicht realisieren konnte. Mein weiteres Leben möchte ich in Unabhängigkeit verbringen.«
Ein Mann, der laut eigenen Aussagen in seinen Vorstellungen viele Male seine Frau verlassen hat, sagt Folgendes aus: »Ich bin froh, dass ich bei Rahel geblieben bin. Ich liebe sie und ich lebe nach mehr als dreißig Jahren immer noch gern mit ihr zusammen. Nicht jeden Tag, aber grundsätzlich. Ich bin in dieser Ehe einige Male an meine persönlichen Grenzen gestoßen. Wahrscheinlich wir beide. Ich weiß selbst nicht, wieso ich geblieben bin. Vielleicht hatte ich den Mut nicht wegzugehen. Heute ist es richtig so. Vermutlich hätte ich mit einer anderen Frau eben auch meine Schwierigkeiten gehabt. So sind wir heute beide stolz und zufrieden, dass wir noch zusammen sind.«
»Halten und bewahren« – hier geht es um die eigene, lebenslang zu gestaltende Identität und Integrität. Und um die Möglichkeit, in einer Beziehung zu wachsen. Dies sind die Voraussetzungen für eine gelingende Beziehung. Ob dann die Beziehung gehalten und bewahrt oder aber beendet wird, hängt von vielerlei ab. Es ist also ziemlich egal, wen man heiratet, welchen Beruf man auswählt– und eben doch nicht.
2. Beenden als Prozess
Die Kunst des Beendens
Der wunderbarste Glanz eines Meisterwerks ist der Schmerz, der nicht mehr schmerzt.
Walter Muschg
Respektvolles und würdiges Beenden ist eine Lebenskunst. Versuche, Annäherungen, Bearbeitungen – ein Wissen darum, dass nicht alles in unserer Hand liegt. Gelingendes Beenden ist ein Geschenk, ist Gnade. Es ist in jedem Fall ein In-Ordnung- und ein Zu-einem-Ende-Bringen auf der äußerlichen Seite und ein innerer Prozess – eine Loslösung im Trauerprozess, ein Abschließen. Im besten Fall in Dankbarkeit und Vertrauen, in der innerlichen Verbundenheit der Erinnerungen. Das Bekenntnis »Ja, das ist Teil meines Lebens« – sei es ein Mensch, eine Beschäftigung, ein Haus, was auch immer – gehört dazu. Verinnerlichte Beziehungen – zu einem Menschen oder zu einem Ort – bleiben damit als wertvoller Bestandteil des Lebens erhalten und können
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