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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Ley
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möglich ist, und das zu lassen, was nicht in der eigenen Regie ist. Es kann schön sein, einen Menschen beim »fertigläbe« zu begleiten, an der zunehmenden Ruhe und dem Einverständnis in jeden verbleibenden Tag teilzunehmen. Und es ist schmerzvoll, wenn sich ein Mensch dagegen sträubt oder ungemein leiden muss.
    Immer mehr Menschen werden immer älter; auch das ist ein Schicksal, für einige gar ein Schicksalsschlag. Das Älterwerden erfordert ein stetig neu zu leistendes Einverständnis ins Beenden: Beenden der Berufstätigkeit, Nachlassen der psychischen und physischen Kräfte, der Spannkraft und Gesundheit, der äußeren Schönheit, Beenden von Ehen/Partnerschaften beim Tod eines Partners. Nötig wird ein Erledigen von Unbewältigtem, Unerledigtem. Positives Beenden im Sinne einer Versöhnung wird notwendig, wenn ein Mensch in Frieden altern will.
Sterben und Tod
    Wenn du lernst, wie man stirbt, dann lernst du, wie man lebt.
    Morrie Schwartz

    Das Sterben als Beenden des Lebens kann auf natürliche Weise erfolgen: durch Altersschwäche – und dies langsamer oder rascher. Es kann durch eine schwere Krankheit, durch einen Unfall forciert werden. Es kann erzwungen werden durch einen Selbstmord bzw. durch das Drücken der »Sterntaste«. Es wird vermutet, dass ein Großteil der Tode durch Ertrinken und durch Unfälle auf der Straße verdeckte Selbstmorde sind.
    Jeder Mensch stirbt einen anderen Tod. »Dass ich nicht im Vollbesitz aller Kräfte sterbe, ist doch eine wunderbareEinrichtung. Die Sinne können auch verinnerlicht werden. Das Sehen wird zum inneren Schauen, das Hören zum Horchen, das Tasten zum Erspüren. Die Möglichkeit, nach innen zu gehen und mehr bei sich zu sein, ist ein weiser Vorgang der Natur«, sagt Niklaus Brantschen in einem Interview. 56
    Wer älter werden kann, weil er gut gelebt hat, ist bereit zur Verinnerlichung der Sinne, die im Alter abnehmen. Es ist eine Vorbereitung darauf, ganz nach innen zu gehen. Zu sterben.
    »Wird ein Zombie aus mir werden?«, fragt der tumorkranke Vater seinen Sohn. Der Vater hat soeben erfahren, dass eine Operation ihm weder das Gehör wiederherstellen noch seine Gesichtslähmung rückgängig machen kann. Und er lächelt dazu »das weltweise Lächeln eines gebrochenen Herzens, das besagt: Aber gewiss doch.« 57 Und der Sohn, Philip Roth, der seinen Vater auf allen folgenden Stationen begleitet, selbst den scham- und ekelbesetztesten, schreibt: »Du beseitigst die Scheiße deines Vaters, weil sie beseitigt werden muss, doch nachdem du sie beseitigt hast, empfindest du alles, was es zu empfinden gibt, anders als je zuvor. Es war auch nicht das erste Mal, dass ich das begriffen hatte: wenn man den Ekel beiseiteschiebt und das Abstoßende ignoriert und alle jene Phobien mit einem Schlag hinter sich lässt, die wie Tabus bewehrt sind, trifft man auf sehr viel Leben, das schätzenswert ist.«
    Und dann, am Sterbebett, als dieser Sohn entscheiden muss, ob außerordentliche Maßnahmen eingeleitet werden sollen, nämlich eine Beatmungsmaschine eingesetzt werden soll, die vom Gesetz her nicht mehr abgestellt werden darf, da sitzt der Sohn eine sehr lange Zeit weinend am Bett, bis er es schließlich über sich bringt zu flüstern: »Dad, ich muss dich wohl gehen lassen«, immer wieder, erschütternd, erstaunt und weinend. »Sterben ist Arbeit, und er war ein Arbeiter. Sterben ist schrecklich, und mein Vater starb.«
    Das Sterben und der Tod werden von den Überlebenden geschildert. Von den Begleitenden, von den Pflegenden, vonden Trauernden, von denen, die das Loslassen üben müssen. Auch ihnen wird ein Beenden abverlangt. »Ich muss dich wohl gehen lassen.«
    Es gibt todkranke und sterbende Menschen, die sich zurückziehen. Sie wollen keine Besuche mehr. Es ist ihr Recht. Dann sind auch die Überlebenden allein mit ihrem Schmerz, mit ihrer Trauer. Sie können ihr Mitgefühl nicht mehr am Sterbebett leben. Das Gehenlassen wird schwieriger – oder leichter?
    Sterbebegleitung ist heute ein Beruf geworden. Man kann es erlernen, Menschen auf dem Sterbeweg zu begleiten. Es ist manchmal leichter, sich von einer fremden Person begleiten zu lassen. Oder es ist eben niemand da, der sich um eine sterbende Person sorgen könnte. Beenden will gelernt werden.
    Es gibt immer wieder Menschen, die aus einem gesunden Leben heraus plötzlich sterben. Sie sterben nach einer Kränkung, nach einem schweren Verlust, nach der Aufgabe einer wichtigen Lebensaufgabe. Diese Menschen »lassen

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