Die Kunst des guten Beendens
abgrundtiefen Leere, einem Loch, das ich mit mir herumtrage und das mich immer wieder zu verschlucken droht.
Der Winter kündigt sich an. Kokain verstärkt das Frieren. Vor allem, wenn seine Wirkung nachlässt. Das Frieren durchdringt den ganzen Körper, es ist, als ob das Fleisch von den Knochen abfallen würde und Letztere bar jeglichen Schutzes der Kälte ausgeliefert sind.
Ich fühlte früher großen Respekt vor Drogen, vor allem vor harten Drogen. Ich glaube, mein Leben war damals Droge genug. Ständig passierte etwas. Ich hatte Energie und Ausdauer. Als ich von einem Kollegen hörte, der Kokain für seine Arbeit brauchte, war ich schockiert. Ich konnte das überhaupt nicht nachvollziehen.
Zum ersten Mal sah ich Kokain erst vor sieben Jahren. Ein Freund meines damaligen Freundes war ein regelmäßiger Konsument. Er schüttete das weiße Pulver auf den Küchentisch, schnitt mit dem Küchenmesser die Linien und lud uns großzügig ein. Ich habe aus Neugierde eine Linie hochgezogen. Da mich die Wirkung nicht beeindruckte, ließ ich es bei einer Linie bleiben.
Wie sehr wünsche ich mir heute diese Einstellung zurück. Heute vergeht kein Tag, ohne dass ich an Kokain denke. Entweder spiele ich mit dem Gedanken, ein Gramm zu kaufen. Oder ich verfluche die Droge. Oder ich hasse mich selbst. Oder ich rede mir ein, dass ich es nun wirklich geschafft habe. Oder ich hecke Pläne aus, wie ich denn dieses Mal meinen neuen Freund austricksen könnte, um an ein Gramm zu gelangen. Die Unschuld von vor sieben Jahren ist mit aller Willenskraft nicht zurückzuholen.
Wieder ein Tag geschafft. Der Versuchung widerstand ich gestern nur mit viel Glück, ich weiß nicht, ob ich es meiner Willenskraft zuschreiben kann. Ich war beschäftigt.
Mein jetziger Freund weiß um mein Drogenproblem und ist ratlos, wie er mich davon abhalten kann. Da ich mit ihm zum ersten Mal in meinem Leben einen Mann kennenlernte, der einen gesunden Kern besitzt und mich um meiner selbst willen liebt, will ich alles vermeiden, um ausgerechnet diese Chance, die mir das Leben bietet, zu vermasseln.
Heute ist einer dieser Tage, an denen mir all das Geschriebene absurd erscheint. Es kann nicht sein, dass ich wirklich von mir selbst schreibe. Ich habe doch schon so viel in meinem Leben bewältigt, es kann doch nicht angehen, dass ich so tief gefallen bin. So stark ich mich heute fühle, so sehr hockt in mir auch heute die Versuchung. Leider ist die Stimme, die mich zur Versuchung drängt, meine eigene Stimme. Sie ist Teil von mir, sie kommt nicht von außerhalb, sondern aus mir selbst. Es ist, als ob mich Kokain zweigeteilt hat. Eine Hälfte besteht aus der rationalen Frau. Diese Hälfte hilft mir im besten Fall, nein zu sagen. Sie bietet mir all die Argumente, von einem Konsum abzusehen. Die Stimme der Rationalität wird immer wieder von jener der Sucht in Grund und Boden geredet. Ich habe mich schon oft gefragt, warum sich die Stimme der Sucht bis zum heutigen Tag immer wieder hat durchsetzen können. Kokain bedeutet für mich einen Notausgang. Bin ich auf Kokain, verabschiede ich mich von dieser Welt, von meinen Problemen. Dorthin, wo ich gehe, kann mich niemand begleiten. Schon garnicht die Person, die ich am meisten liebe, nämlich mein Freund. Da er mich liebt, ist er potentiell auch die größte Bedrohung in meinem Leben. Wie niemand sonst nimmt er mich wahr, durchschaut all meine Ablenkungsmanöver und sieht direkt auf den Grund meines Ich. So schön dies ist und so sehr ich mir das ein Leben lang wünschte, so sehr beängstigt es mich.
Der Entschluss, ein Tagebuch zu schreiben, hat eine neue Entwicklung in Gang gesetzt. Ich traute mir in den letzten fünf Jahren nicht mehr zu, ohne Drogen schreiben zu können. Jetzt schreibe ich ohne Kokain und es geht.«
Sobald ich zwei Tage drogenfrei bin, sieht das Leben wieder anders aus. Ich begreife einmal mehr, wie einschneidend Kokain mein Leben drunter und drüber gebracht hat.
Meine Eltern ließen sich früh scheiden, und ich fühlte mich von niemandem unterstützt. Auch wenn ich heute nach zwei Therapien weiß, dass sowohl mein Vater als auch meine Mutter mich lieben und mich immer geliebt haben, fühle ich noch immer die Leere in mir. Als Kind spürte ich die Liebe der Eltern nicht. Ich fühlte mich total allein, verlassen von allen, nur auf mich gestellt. Dies gab mir die Stärke, mit der ich mich als erwachsene Frau immer wieder aus dem Sumpf zu ziehen vermag. Gleichzeitig sitzt in mir ein
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