Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
hinterlegen. Um die Essenz eines schriftlichen Berichts zu erfassen, so sagte er, müßten wir uns doch auf unsere Einfühlung oder unsere innere Anteilnahme und Imagination verlassen und, über das Papier hinaus, in das Erlebnis selbst eintauchen. Doch in der Welt der Zauberer, wo es kein Schrifttum gebe, würden Protokolle, die wiedererlebt statt gelesen werden könnten, in der Position des Montagepunkts hinterlegt.
    Zur Veranschaulichung dessen, was er mir sagte, verwies Don Juan auf die Lehren der Zauberer über die zweite Aufmerksamkeit. Diese Lehren, sagte er, würden vermittelt, sobald der Montagepunkt des Schülers sich an einer anderen als der normalen Stelle befinde. Auf diese Weise werde diese Position des Montagepunkts zum Protokoll der betreffenden Lektion. Um die Lektion noch einmal abzuspielen, müsse der Lehrling seinen Montagepunkt wieder in die Position zurückkehren lassen, in der er sich befand, als die Lektion erteilt wurde. Zum Schluss seiner Ausführungen wiederholte Don Juan noch einmal, daß es eine Leistung höchsten Grades sei. den Montagepunkt in all die Positionen zurückkehren zu lassen, die er einnahm, als die Lektionen vermittelt wurden.
    Beinah ein Jahr lang fragte Don Juan mich nie wieder nach meiner dritten Aufgabe des Träumens. Dann aber, eines Tages, wünschte er plötzlich, ich solle ihm alle Einzelheiten meiner Traumübungen schildern.
    Als erstes musste ich von einem verblüffenden Phänomen der Wiederholung berichten. Monatelang hatte ich nämlich immer wieder Träume, in denen ich feststellte, daß ich mich schlafend im Bett sah und anstarrte. Das Sonderbare war die Regelmäßigkeit solcher Träume; sie kamen alle vier Tage, pünktlich wie die Uhr. Während der anderen drei Tage war mein Träumen wie immer: ich untersuchte alle möglichen Gegenstände in meinen Träumen, ich wechselte die Träume - und getrieben von selbstmörderischer Neugier, folgte ich manchmal den Scouts fremder Energie, obwohl ich dabei starke Schuldgefühle hatte. Ich bildete mir ein. es sei ähnlich wie eine geheime Drogensucht. Das Reale dieser Welt war für mich unwiderstehlich.
    Insgeheim fühlte ich mich irgendwie von aller Verantwortung befreit, weil Don Juan selbst mir vorgeschlagen hatte, den Traumbotschafter zu fragen, was ich tun sollte, um den - nunmehr bei uns - gefangenen blauen Scout zu befreien. Er hatte wohl gemeint, ich solle diese Frage in meinem Alltagsbewußtsein stellen, aber ich verdrehte seine Worte in dem Sinn, daß ich den Botschafter befragen müsse, während ich mich in seiner Welt befand. Die Frage, die ich dem Botschafter eigentlich stellen wollte, war. ob die anorganischen Wesen mir eine Falle gestellt hätten. Nicht nur klärte der Botschafter mich auf. daß alles, was Don Juan mir gesagt hatte, genau zutraf; er belehrte mich auch darüber, was Carol Tiggs und ich zu tun hätten, um den Scout zu befreien. »Die Regelmäßigkeit deiner Träume ist etwas, das ich erwartet habe«, meinte Don Juan, nachdem er meinen Bericht angehört hatte.
    »Warum hast du so etwas erwartet, Don Juan?«
    »Aufgrund deiner Beziehung zu den anorganischen Wesen.«
    »Das ist vorbei und vergessen, Don Juan«, log ich - und hoffte, er würde das Thema nicht weiterverfolgen.
    »Das sagst du nur um meinetwillen, nicht wahr? Brauchst du aber nicht. Ich kenne die Wahrheit. Glaube mir. nachdem du dich auf sie eingelassen hast, hängst du fest. Sie werden immer hinter dir her sein. Oder, noch schlimmer, du wirst immer hinter ihnen her sein.«
    Er starrte mich an. und vielleicht waren meine Schuldgefühle so offenkundig, daß er lachen mußte.
    »Die einzig mögliche Erklärung für eine solche Regelmäßigkeit ist, daß die anorganischen Wesen dich schon wieder verwöhnen«, sagte Don Juan in bedenklichem Ton.
    Rasch das Thema wechselnd, erzählte ich ihm von einem weiteren, erwähnenswerten Aspekt meiner Traumübungen, nämlich meiner Reaktion auf den Anblick meiner selbst, wie ich in tiefem Schlaf lag. Dieser Anblick war immer so erschreckend, daß er mich entweder wie angeleimt an der Stelle festhielt, bis der Traum wechselte, oder mich so tief ängstigte, daß ich sofort aufwachte - schreiend, so laut ich nur konnte. Ich war an dem Punkt angelangt, daß ich mich an solchen Tagen, an denen ich - wie ich wußte - diesen Traum haben würde, vor dem Einschlafen fürchtete. »Du bist noch nicht bereit für eine echte Verschmelzung deiner Traum- Wirklichkeit mit deiner alltäglichen Wirklichkeit«,

Weitere Kostenlose Bücher