Die Kunst des Träumens
Körper im Bett siehst«, sagte er, statt meine Frage zu beantworten. »Vergiß nicht, du mußt in deinem wirklichen Zimmer sein und deinen wirklichen Körper sehen. Sonst ist das, was du siehst, nur ein Traum. Wenn dies der Fall ist, versuche diesen Traum zu kontrollieren, entweder indem du Einzelheiten beobachtest oder indem du in einen anderen Traum wechselst.«
Ich verlangte, er solle mir mehr über die verlässliche Richtschnur sagen, von der er gesprochen hatte, aber er fiel mir ins Wort: »Finde heraus, wie du verlässlich überprüfen kannst, ob du wirklich dich selbst siehst«, sagte er.
»Hast du denn keine Vorschläge, was eine verlässliche Richtschnur sein könnte?« fragte ich.
»Verlass dich auf dein eigenes Urteil. Unsere gemeinsame Zeit geht zu Ende. Und bald wirst du auf dich selbst gestellt sein.«
Dann wechselte er das Thema, und ich behielt das schmerzliche Gefühl meiner Unfähigkeit. Ich konnte mir nicht vorstellen, was er eigentlich von mir wollte oder was er unter einer verlässlichen Richtschnur verstand.
In meinem nächsten Traum, als ich mich schlafen sah, blieb ich, statt aus dem Zimmer und die Treppe hinunterzugehen oder gar schreiend aufzuwachen, lange Zeit reglos an dem Platz, von wo ich beobachtete. Ohne zu verzagen oder zu verzweifeln, beobachtete ich Einzelheiten meines Traums. Und jetzt fiel mir auf, daß ich als Schlafgewand ein weißes T-Shirt trug, das an der Schulter eingerissen war. Ich versuchte näherzutreten und diesen Riß zu untersuchen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich spürte eine Schwere, die Teil meines Wesens zu sein schien. Tatsächlich war ich nichts als Gewicht und Schwere. Ohne zu wissen, was ich nun machen sollte, geriet ich in eine furchtbare Verwirrung. Ich versuchte in einen anderen Traum überzuwechseln, aber eine unbekannte Kraft zwang mich, weiter auf meinen schlafenden Körper zu starren.
In all meiner Qual hörte ich den Traumbotschafter sagen, daß das Gefühl, keine Selbstbeherrschung zu haben und mich nicht frei bewegen zu können, für mich so erschreckend sei, daß ich womöglich noch einmal mein Leben rekapitulieren müsse. Die Stimme des Botschafters, und was er sagte, überraschte mich keineswegs. Nie hatte ich ein so beängstigend lebhaftes Gefühl gehabt, mich nicht bewegen zu können. Dennoch überließ ich mich nicht der Angst. Vielmehr untersuchte ich dieses Gefühl und stellte fest, daß es keine psychische Angst war, sondern eine physische Empfindung der Hilflosigkeit, Verzweiflung und Verärgerung. Es ärgerte mich unsäglich, daß ich unfähig war, meine Glieder zu bewegen. Mein Ärger steigerte sich mit der Erkenntnis, daß irgend etwas außerhalb meiner selbst mich brutal an Ort und Stelle festhielt. So eigensinnig und verzweifelt versuchte ich mich zu bewegen, daß ich tatsächlich beobachten konnte, wie ein Bein meines im Bett schlafenden Körpers zuckte und scheinbar ausschlug.
Dann wurde mein Bewusstsein in meinen reglos schlafenden Körper gezogen, und ich erwachte so plötzlich, daß ich mehr als eine halbe Stunde brauchte, um mich wieder zu beruhigen. Mein Herz schlug wild und unregelmäßig. Ich zitterte am ganzen Leib, und die Muskeln in meinem Bein zuckten unkontrollierbar. Ich hatte einen so krassen Verlust an Körperwärme erfahren, daß ich Decken und eine Wärmflasche brauchte, um meine Temperatur zu halten. Natürlich fuhr ich sofort nach Mexiko, um Don Juan wegen dieses lähmenden Gefühls um Rat zu fragen - auch wegen der Tatsache, daß ich ein zerschlissenes T-Shirt getragen und mich daher wirklich im Schlaf gesehen hatte. Außerdem war ich sehr erschrocken über meine Untertemperatur. Don Juan war aber nicht bereit, über mein Problem zu sprechen. Das einzige, was ich aus ihm herausbekam, war eine zynische Bemerkung. »Du liebst dramatische Übertreibungen«, sagte er ungerührt. »Natürlich hast du dich wirklich im Schlaf gesehen. Das Dumme ist nur, daß du nervös wurdest, weil dein Energiekörper sich nie zuvor seiner Ganzheit bewußt war. Solltest du je wieder nervös werden und frieren, dann halte dich an deinem Fimmel fest. Das wird deine Körpertemperatur sofort und problemlos wieder in die Höhe treiben.«
Seine Derbheit kränkte mich. Sein Rat aber erwies sich als wirksam. Das nächste Mal, als ich in Panik geriet, konnte ich mich augenblicklich entspannen und wieder normal fühlen, indem ich tat, was er mir empfohlen hatte. Auf diese Art entdeckte ich, daß
ich, wenn ich nicht zauderte und
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