Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
zuvor dem Grafen gehört hatte. Er ging hinaus zu seinem Pferd und verstaute den Band sorgfältig in den Satteltaschen. Dann saß er auf und warf dem verloren und einsam wirkenden Häuschen des toten Freundes einen letzten Blick zu. Er hatte geschworen, den Schurken zu finden, der ihn ermordet hatte. Und diesen Eid würde er nicht brechen.
Während er noch in einer Mischung aus Wut und Trauer durch die Straßen von Florenz ritt, reifte in ihm ein weiterer Entschluss: Er würde nach Rom gehen, um Picos Vermächtnis zu erfüllen und die Bauwerke der Antike auf der Suche nach dem göttlichen Architekturschlüssel zu vermessen.
7
Rom, Anno Domini 1505
»Beeil dich, Michelangelo! Julius ist der ungeduldigste Mensch, den ich kenne! Und seine Ungeduld kennt nur eine Form, sich zu äußern: Jähzorn! Das Alter hat ihn nicht milder gemacht, nicht geduldiger. Im Gegenteil! Alles muss rasch gehen! Schnell! Schnell! Morgen kann es schon zu spät sein. Hol der Teufel die Ungeduld!«
Grob stieß Giuliano da Sangallo seinen Schützling vor sich her aus der Tür. Dann stürmte er vorneweg, während der hagere junge Mann widerwillig hinterhertrottete und sich fragte, ob der Papst diese Eile überhaupt verdiente. Ein paar Schritte vor ihm war Sangallo stehen geblieben und wedelte ungeduldig mit der Hand.
»Wirst du endlich aufhören zu trödeln, Michelangelo!«, fuhr er ihn an, das Karpfengesicht rot vor Wut. Der junge Bildhauer befürchtete schon, der Schlagfluss könnte den väterlichen Freund treffen. Kein Zweifel, Sangallo sonnte sich in der Gunst des Papstes, aber er fürchtete ihn auch.
»Nun gut«, brummelte Michelangelo vor sich hin und beschleunigte seine Schritte ein winziges bisschen, »dann tu ich es eben für dich, aus reiner Freundschaft.« Er fuhr sich mit dem Handrücken über die plumpe Nase.
Seinem Florentiner Landsmann, dem Architekten Giuliano da Sangallo, hatte er zu verdanken, dass endlich das Augenmerk des Papstes auf ihn gefallen war, dessen war sich Michelangelo bewusst. Denn obwohl Julius II. ihn nach Rom gerufen hatte und sogar für die Reisekosten aufgekommen war, hatte er den hoffnungsvollen jungen Mann vor den Kopf gestoßen, indem er ihn inzwischen schon fünf lange Wochen warten ließ. Michelangelo erwog bereits, in die Heimat zurückzukehren, als der Heilige Vater ihn endlich zu sich rief.
Der Bildhauer schwankte zwischen Aufregung und Zorn. Einerseits konnte diese Audienz den Anfang seiner Karriere in Rom bedeuten, andererseits hatte ihn der Papst Monate unwiederbringlicher Schaffenszeit beraubt. So jung Michelangelo an Jahren war, so glaubte er doch fest an sein Talent. Nachdem er dem Glück und der Liebe abgeschworen hatte, um sich ganz seiner Berufung zu widmen, fühlte er wenig Neigung, Respekt vor den hohen Herren dieser Welt zu empfinden, zumal er den einen oder anderen Erlauchten in seiner Heimat persönlich kennengelernt hatte. Dazu gehörten Piero, der ehemalige Herr von Florenz, den alle inzwischen höhnisch den Pechvogel nannten und der zu allem Überfluss unlängst auch noch in einem Rinnsal fern der Heimat ertrunken war, oder der Kardinal Giovanni de Medici, der inzwischen ebenfalls in Rom wohnte. Bei dem Gedanken, dass Giovanni eines Tages Papst werden könnte, verzog ein abfälliges Lächeln Michelangelos Lippen. Er rechnete aber nicht ernsthaft damit – zum Papst fehlte es dem jungen Kardinal, dem alles in die Wiege gelegt worden war, entschieden an Durchsetzungsfähigkeit. In seinen Augen war Giovanni de Medici ein guter Junge mit ein paar voyeuristischen Leidenschaften, und darin erschöpfte sich seiner Meinung nach die Persönlichkeit von Lorenzos zweitem Sohn.
Nein, der junge Bildhauer hatte keinen Grund, an seinem eigenen Adel zu zweifeln. Die Grafen von Canossa, auf die er seine Sippe zurückführte, waren älter als die Medici, die aus dem Apothekerstand hervorgegangen waren, und als die della Rovere ohnehin, eigentlich ligurische Bauern. Julius, der Papst, hatte als Kind noch Schafe gehütet.
Wichtiger als der Adel der Abstammung war ihm der des Künstlertums. Stand nicht seine Pietà im Petersdom? Ein Werk, das alles bis dahin Geschaffene in den Schatten stellte? Und schmückte nicht sein David vor dem Palazzo della Signoria den Hauptplatz der Republik Florenz? Am Vertrauen in sein Können mangelte es ihm nicht. Er würde ein noch größerer Künstlerfürst werden als Leonardo da Vinci, der seine Zeit mit Lustknaben und metaphysischen Hirngespinsten
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